Die Suche nach dem Land der Dichter und Denker

Rathgeb_EAm_Anfang_war_HeimatWas ist Heimat? Dieser Begriff scheint einerseits so schlicht und eindeutig, beschwört er doch sogleich romantische Bilder von Natur und Einfachheit, von Familiengeschichten im dörflichen Idyll. Andererseits ist er doch so viel Abstrakter, als zum Beispiel das „Zuhause“. Denn was genau macht Heimat aus? Die Landschaft, die Sprache, das Gewohnte? Ist es die Zusammenstellung dieser Elemente, ein Gefühl, das daraus erwächst oder ganz nüchtern eine politische oder biographische Tatsache?

Eberhardt Rathgeb spürt dieser Frage in „Am Anfang war Heimat“ nach. Doch er bemüht sich nicht um eine abstrakte Definition, ohne Widersprüchlichkeiten. Stattdessen nähert er sich dem Thema erzählend. „Am Anfang war Heimat“ beinhaltet zum einen die Geschichte seiner Familie, seines Großvaters, der vor Hitler nach Argentinien floh, seines Vaters, der als Deutsch-Argentinier in ein Deutschland zurückkehrte, das er nur aus Erzählungen kannte, und dem er sich doch stets verbunden fühlte.

Zugleich ist das Buch eine Reise durch die neuere Geschichte Deutschlands. Wir lernen Auswanderer, Zurückkehrende, Besucher und Daheimgebliebene aus Kunst, Literatur und Philosophie kennen, teils in Erzählungen, teils in kurzen Sachtexten. Darunter finden sich Martin Heidegger, Erwin Panofsky, Adalbert Stifter, Anne Germaine de Staël, Rahel Varnhagen, Hannah Arendt, Thomas Mann, Johann-Wolfgang Goethe, Friedrich Schiller und viele, viele mehr.

Beide Stränge sind dabei nur locker miteinander verwoben. Manchmal leitet eine Erinnerung an den Vater zu einer historischen Episode über, manchmal stehen sie recht unverbunden nebeneinander.

Die ganze Betrachtung scheint aber doch stets die Perspektive des Vaters einzunehmen, das heißt, eines Menschen, der die Heimatliebe, angeregt durch Bücher, Bilder und Geschichten, schon vor dem Heimatland kannte. Ob in der Siegfriedsage, der alten Beschreibung als Land der Dichter und Denker oder der Schilderung von Land und Leuten – stets ist die Heimat, die hier umschrieben wird, ein romantisches Deutschland, alles andere als klischeefrei, doch zugleich sehr subjektiv und persönlich.

Der große Störfaktor Adolf Hitler – nicht nur in der Selbstwahrnehmung der Deutschen allgemein, sondern auch in der Biographie von Großvater und Vater – spielt während dieser Betrachtungen immer wieder eine Rolle, allein schon deshalb, weil er selbst ein romantisches Bild vom Deutschsein für sich in Anspruch nahm. Dieser Missklang wird nicht verschwiegen, aber auch nicht aufgelöst – außer durch den Faktor der Subjektivität. Denn das individuelle Erleben des Vaters ist ein völlig anderes, als das der Nazis und auch die Selbstverortung des Autors ist, so stark sein Leben auch von Biographie und Genealogie, von räumlicher und zeitlicher Verortung abhängen mag, wieder ganz persönlich.

Rathgebs Buch ist eine Reise durch Deutschland, durch deutsche Kulturgeschichte und zugleich ein ganz persönliches Buch über einen vertrauten Menschen. So unternimmt Rathgeb den Versuch zugleich das Wesen der Deutschen, wie auch das Wesen seines Vaters zu ergründen. Er tut dies auf geistreiche und unterhaltsame Weise und lässt den Leser daran teilhaben, wie sich in ihm sein ganz persönliches Verständnis von Heimat entwickelt.

(Tobias Schudok)

Bibliographie

Eberhard Rathgeb
Am Anfang war Heimat – auf den Spuren eines deutschen Gefühls
Blessing Verlag
Hardcover mit Schutzumschlag, 384 Seiten
ISBN 978-3-89667-541-5

Über den Autor

Eberhard Rathgeb, 1959 als Sohn deutscher Einwanderer in Buenos Aires geboren, übersiedelte als Kind 1963 mit seiner Familie nach Deutschland. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ihrer Berliner Sonntagsausgabe. 2007 veröffentlichte er Schwieriges Glück. Versuch über die Vaterliebe. 2013 erhielt er den Aspekte-Literaturpreis für seinen Debütroman Kein Paar wie wir. 2014 erschien sein Roman Das Paradiesghetto.