Zwei Frauen, zwei Wege zu Trauern

Pressebild_Moshi-MoshiDiogenes-Verlag_72dpiDie Sprache, die mit großem Abstand am häufigsten ins Deutsche übersetzt wird, ist seit vielen Jahren Englisch. Europäische und US-Amerikanische Literatur stellen fast schon die Grenzen unseres literarischen Horizonts dar. Eine Ausnahme ist Japan. Doch während Mangas, die japanischen Comic-Bücher, mittlerweile viele jugendliche Fans haben, gibt es im bereich der erzählenden, „ernsthaften“ Literatur immer noch wenige Vertreter, die es bis ins ferne Europa schaffen. Eine absolute Ausnahme-Autorin ist in dieser Hinsicht Banana Yoshimoto. Mit „Moshi Moshi“ meldet man sich in Japan am Telefon. Und ein vergessenes Handy spielt auch eine wichtige Rolle im gleichnamigen Roman.

Inhalt

Die zwanzigjährige Yotchan hat ihren Vater verloren. Zunächst scheint es, als hätte sie dieses Ereignis bereits ganz gut verarbeitet, denn sie hat gerade ihre erste eigene Wohnung im Künstler- und Szeneviertel Shimokitazawa in Tokio bezogen und arbeitet mit Begeisterung in einem nahegelegenen Bistro. Ihre Mutter dagegen hat den Schock noch nicht überwunden. Eines Tages steht sie vor Yotchans Tür und verkündet, sie wolle einziehen, da Vaters Geist in der alten Wohnung umgehe. Doch auch Yotchat merkt nun, dass sie das erlebte nur verdrängt hat und träumt immer wieder von dem Handy, das ihr Vater am letzten Abend in der Wohnung vergessen hat.
Die beiden Frauen finden mit der Zeit ihre jeweils eigene Methode, das Erlebte zu verarbeiten, wieder Mut zu Neuem zu fassen und sich auf die Welt einzulassen.

Mit viel japanischer Lebensphilosophie

Yotchan ist ein nachdenkliches Mädchen, das seine Welt genau beobachtet und stets versucht, sich und seine Umgebung gründlich zu analysieren. Doch verschaffen ihre Analysen ihr kein Gefühl von Sicherheit. Die Mutter dagegen reagiert emotionaler und vertraut letztlich auf ihre Intuition und ihren Lebenswillen.
Besonders in den Bistroszenen steckt viel japanische Lebensphilosophie, etwa der Glaube an die gelassene, ernste Hingabe an Aufgaben, Gebrauchsgegenstände und alltägliche Tätigkeiten.
Die Sprache ist schlicht, ruhig, ernst. Die Erzählweise ist realsitisch-analytisch. Der kühle Ton erschließt sich sicher nicht jedem auf Anhieb. Oft wirkt die Sprache, ganz besonders in der wörtlichen Rede, zu leidenschaftslos, zu künstlich, die Figuren daher in all ihrem Kummer zugleich auch stets seltsam gefasst.

Vielschichtiger Roman

„Moshi Moshi“ ist ein vielschichtiger Roman, der unterschiedliche Formen der Trauerarbeit und der Selbstwahrnehmung thematisiert. Japanische Kultur spielt dabei nie eine zentrale Rolle, spiegelt sich aber in vielen kleinen Details. Wichtige Topoi sind auch der Gegensatz von Alt und Jung und der Stellenwert von Liebe und Beziehung.
Nicht zuletzt ist „Moshi Moshi“ eine Liebeserklärung an den Stadtteil Shimokitazawa, der durch viele kleine Beschreibungen von Menschen und Geschäften vor dem inneren Auge des Lesers lebendig wird.
Ein nachdenkliches, melancholisches Buch, für das der Leser sich, trotz der leicht verständlichen Sprache ausreichend Zeit nehmen sollte.
(Tobias Schudok)

Bibliographie

Banana Yoshimoto
Moshi Moshi
Aus dem Japanischen von Matthias Pfeifer
Diogenes
Taschenbuch
293 Seiten
12 €

[D], 12,40 € [A], 16,00 sFr UVP
ISBN 978-3-257-24396-3
Harcover, Leinen
978-3-257-06931-0
21 € [D], 22,60 € [A], 29,90 sFr UVP

Die Autorin

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(Foto: Diogenes/Jayne Wexler)

Banana Yoshimoto, geboren 1964, hieß ursprünglich Mahoko Yoshimoto. Ihr erstes Buch ›Kitchen‹ schrieb sie während ihres Studiums, jobbte nebenbei als Kellnerin in einem Café und verliebte sich dort in die Blüten der ›red banana flower‹, daher ihr Pseudonym. Ihr Vater Ryumei Yoshimoto war ein bekannter Essayist und Literaturkritiker. Sie schrieb zahlreiche Bücher, die auch außerhalb Japans ungewöhnlich hohe Auflagen erreichten. Ihr Debütroman verkaufte sich auf Anhieb millionenfach – ein Phänomen, für das dann die Bezeichnung ›Bananamania‹ gefunden wurde. (Diogenes)