Mit der Hoffnung auf Verständigung

Karin Kalisa ist eigentlich Wissenschaftlerin. Sie befasst sich mit asiatischen Sprachen, Philosophie und ethnologischen Beschreibungen. Vor ein paar Jahren ist sie nach Berlin gezogen und hat sich mit dem Leben am Prenzlauer Berg befasst. Hier sind es eben nicht die arabischen oder türkischen Läden, in denen viele ihre täglichen Einkäufe erledigen, sondern die vietnamesischen – der Stoff für ihren Roman:

Vom Schulrat unter Druck gesetzt, etwas für die Völkerverständigung und gegen den Fremdenhass zu unternehmen, entschließt sich der Direktor der Grundschule im Prenzlauer Berg eine „weltoffene Woche“ auszurufen. Damit gibt er den Druck nicht nur an sein Kollegium weiter, sondern zudem an die Schüler mit Migrationshintergrund. So geht es auch dem kleinen Minh, der nun ein Kulturgut aus Vietnam besorgen soll, um es in der Aula der Grundschule vorzustellen. Hilfe findet er bei seiner Großmutter Hien. Gemeinsam bringen die beiden eine vietnamesische Holzpuppe in die Schule, mit deren Hilfe Hien einen Teil ihrer Geschichte erzählt. So faszinieren Großmutter, Enkel und die Puppe Thuy ihr Publikum und lösen dabei in ihrem Stadtviertel eine Welle der Begeisterung aus. Es ist wohl der geschulte Blick der Ethnologin, der dieser Geschichte das Besondere gibt. Kalisa blickt den Menschen und ihrer Kultur sozusagen auf die Seele und konstruiert daraus ihre facettenreichen Charaktere. Hien, die Großmutter, die ihr Land verlassen hat, um zu DDR-Zeiten hierzulande Vertragsarbeiterin zu werden. Ihr Sohn Sung, der niemals in Vietnam gewesen ist und dennoch zwischen zwei Identitäten hin- und hergerissen ist. Der kleine Minh, der Direktor, Hiens Mann Gam, die Berliner Hebamme Dete, Sungs Frau May, die Kunstlehrerin Jana und so viele andere, dass am Ende eben eine ganze Gesellschaft daraus entsteht.

Trotz dieser Vielzahl an Persönlichkeiten bleibt die Geschichte übersichtlich. Kalisa erzählt mit einer Klarheit, die es dem Leser einfach macht, die Personen und ihre Handlungen zu verstehen. Dabei gleitet sie nicht ins Vordergründige ab, wirft mithilfe der Erinnerungen der Einzelnen den Blick bis in die Zeit, als Vietnam noch Indochina war und die Neuen Bundesländer DDR hießen. Aber auch hier sind es weniger die politischen Ereignisse. Es sind die Menschen, ihre Motivation und ihr Verhalten, was die Autorin interessiert. Und so transportiert sie auch ein ordentliches Stück Kulturgeschichte zu ihrem -Publikum.

Schicksale treffen aufeinander und die Verständigung zwischen den Kulturen wächst. Ohne die aktuellen Probleme der vietnamesischen Community in Deutschland zu unterschlagen, erzählt Kalisa eine Geschichte der Menschlichkeit und der Freude. Und auch wenn „Sungs Laden“ in Teilen fantastisch oder auch utopisch wirkt, weckt die Erzählung Hoffnung. Die Hoffnung auf eine Gesellschaft, in der die gesellschaftlichen Gruppen selbstbewusst und verständnisvoll miteinander umgehen; friedlich, mit Respekt und Achtung füreinander. Deshalb ist Kalisas Roman gerade heute und hierzulande so wichtig.

Über den Autor

Karin Kalisa, geboren 1965, lebt nach Stationen in Bremerhaven, Hamburg, Tokio und Wien seit einigen Jahren im Osten Berlins. „Sungs Laden“ ist ihr erster Roman.

Bibliographie

Karin Kalisa

Sungs Laden
C.H. Beck

256 Seiten, gebunden
ISBN 978-3-4066-8188-2