Das Schreiben selbst ist der leichteste Teil

img_1751Joy Fielding gehört seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten Thriller-Autorinnen. Schon im Alter von acht Jahren begann sie zu schreiben, veröffentlichte als 12-Jährige ein Drehbuch, in dem eine 12-Jährige ihre Eltern ermordet, und hatte doch schließlich erst 1991 mit dem Thriller „Lauf, Jane, lauf“ ihren ersten Welterfolg. Seither landet die kanadische Schriftstellerin einen Beststeller nach dem anderen. Wir haben sie in der BMW-Welt in München bei der Vorstellung ihres neuen Romans „Die Schwester“ getroffen:

Dein neues Buch zeigt etwas von den Schrecken, die eine Frau ertragen muss, die ihr Kind verloren hat. Beziehst du dich da auf den Fall Maddie McCann, die 2007 aus einer Ferienwohnung in Portugal verschwunden ist?

Nicht inhaltlich. Sicher erinnert sich jeder daran, was mit ihr damals geschehen ist. Damals dachte ich immer, dass das Stoff für eine interessante Geschichte wäre. Also nahm ich als Ausgangspunkt das Verschwinden eines Kindes unter ähnlichen Umständen – die Eltern sind im Urlaub und als sie zum Abendessen gehen, lassen sie ihre Kinder allein zurück. Aber das ist die einzige Gemeinsamkeit, der Rest der Geschichte ist reine Fiktion. Ich überlegte mir, was passieren würde, wenn 15 Jahre später eine Frau auftauchen würde, die sagt: Ich glaube, ich bin deine Tochter. Es gibt also zwei Rätsel zugleich – die Geschichte springt hin und her zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit. Ist diese Frau ihre Tochter, ist sie das vermisste Kind? Und was ist vor 15 Jahren passiert? Am Ende des Buches erfährt der Leser die Antwort auf beide Fragen. Aber es ist Fiktion. Es hat nichts mit Madeleine McCann zu tun.

Du hast gerade die Arbeit an Deinem nächsten Buch abgeschlossen. Kannst Du uns etwas darüber erzählen?

Nicht zu viel – noch nicht. Es ist zu früh, um schon darüber zu sprechen. (lacht) 

Kannst du uns ein kleines bisschen erzählen?

Ja, es geht um eine Frau, die in ihre Heimatstadt zurückkehrt, nachdem ihr Vater, seine junge Frau und die jüngere Tochter im eigenen Haus erschossen wurden. Deshalb kehrt sie zurück, um herauszufinden, was passiert ist.

Was ist passiert?

Nein … das erzähle ich nicht! (lacht)

Fällt dir das Schreiben leicht?

Ich weiß nicht, ob ich es leicht nennen würde … ja ich schätze es ist insofern leicht, als es das ist, was ich mache, worin ich gut bin. Aber deshalb ist das Schreiben eines bestimmten Buches noch nicht zwangsläufig einfach. Man muss erst einmal herausfinden, was man aus einer Idee macht und wie man sie ausarbeitet, um die Geschichte möglichst gut zu erzählen – dieser Teil ist nicht zwangsläufig einfach. Das Schreiben selbst ist der leichteste Teil.

Wie recherchierst du? John Le Carré sagt, er habe einige Fehler gemacht, als er eines seiner bedeutendsten Bücher über „Speed Racing“ in Hongkong schrieb.

Ich mache Fehler. Ich mag Recherchearbeit nicht besonders. Daher recherchiere ich nur so viel, wie es nötig ist, um die Geschichte glaubwürdig zu machen. Wenn ich also zum Beispiel über das Justizsystem in Chicago schreibe, dann recherchiere ich über das Justizsystem von Chicago. Für mein Buch „Im Koma“ musste ich wissen, was mit jemandem passiert, der von einem Auto erfasst wird, das mit 50 Meilen pro Stunde fährt und welche Tests bei einem Komapatienten durchgeführt werden, welche Behandlungsmethoden angewandt werden. All diese Dinge habe ich recherchiert. Und jetzt, mit dem Internet, ist die Recherche viel einfacher!

Für dieses Buch „Die Schwester“ musste ich über San Diego recherchieren. Ich war schon einmal in San Diego, aber das ist so viele Jahre her, dass ich mich nicht mehr genau genug daran erinnert habe. Also musste ich darüber recherchieren. Ich musste über Rosavita Maxico recherchieren. Nur solch kleine Dinge, die wichtig sind, damit die Details stimmen. Aber der Rest entspringt einfach nur meiner Vorstellung.

Ich stelle mir vor, wie ich in einer bestimmten Situation reagieren würde, wäre ich Caroline, die Mutter in der Geschichte. Ich versuche, die Geschichte aus dieser Perspektive zu erzählen.

Und dann geschehen auch mal Fehler. Einmal ging meine Heldin in die Bibliothek, um alles Mögliche nachzuschlagen, was sie wissen musste. Anschließend fragte mich ein Leser: Wieso hat sie nicht einfach das Internet benutzt? Das war mir einfach nicht in den Sinn gekommen! Denn als ich jünger war, sind wir in die Bibliothek gegangen. Ich war es nicht gewohnt, das Internet zu benutzen, also kam es mir auch nicht in den Sinn, das Internet zu benutzen. Während jemandem Jüngeren das natürlich auf Anhieb eingefallen wäre.

Ein anderes Mal schrieb ich etwas über Alligatoren in Florida – nun, ich schrieb „Krokodile“ – es gibt aber keine Krokodile in Florida. Irgendwo in Florida sagte ich, wir befänden uns gerade östlich von Fort Lauderdale, aber östlich von Fort Lauderdale hätten wir uns mitten auf dem Ozean befunden, es war also offensichtlich westlich … aber mein Orientierungssinn ist nicht der beste.

Wer hat Dir das gesagt?

Niemand hat es vorher bemerkt. In einem anderen Buch schrieb ich, dass sie Kugeln in den Lauf des Gewehrs steckte und ich bekam eine E-Mail, in der mir jemand erklärte, dass ich offenbar nichts über Gewehre wüsste. Denn wenn sie die Kugeln in den Lauf steckt, fallen sie einfach wieder heraus! Wenn der Lektor es nicht bemerkt, findet sich immer ein Leser, um dich zu korrigieren.

Was passiert dann mit solchen Fehlern? Änderst Du die Bücher?

Ja, ich schreibe dem Redakteur, dass sie das in der nächsten Ausgabe besser korrigieren sollten.

Kam das schon vor?

Ja, bei Folgeauflagen, wenn ich Fehler entdecke. Im letzten Buch vor diesem stand ein Satz, der eigentlich gestrichen werden sollte. Aus irgendeinem Grund blieb er aber drin. Ich bemerkte es und sagte: sorgt dafür, dass er nächstes Mal gestrichen wird. Fehler passieren – manchmal bin ich schuld, manchmal ist es jemand anderes.

Ziehst Du es vor, Thriller- oder Krimi-Autorin genannt zu werden?

Thriller-Autorin passt besser zu mir. Schließlich ist es mein Job, die Spannung so hoch zu halten, dass die Leser immer auch noch die nächste Seite lesen wollen. Es geht mir aber nicht nur darum. Mich interessiert immer auch die Familiengeschichte sehr und die Motivation der Menschen, bestimmte Dinge zu tun.

Wie ist das Leben als Autorin. Steckst Du immer voller Ideen?

Normalerweise habe ich immer viele Ideen im Kopf. Wenn ich mit einem Buch fertig bin, beginne ich über das nächste nachzudenken. Manchmal habe ich zwei oder drei Ideen und weiß nicht genau, welcher ich jetzt nachgehen soll. Dann spreche ich darüber und die Idee, die am weitesten gediehen ist, verwende ich dann.

Ist Dein Mann der erste Leser?

Er ist meistens einer der ersten. Oftmals liest er die erste Hälfte. Mein Mann, meine älteste Tochter und eine Freundin von mir lesen mit. Nicht erst das komplette Manuskript, sondern zunächst einzelne Kapitel, dann die ersten fünf, die erste Hälfte und schließlich alles.

So hast du also einen inneren Zirkel, der Dir hilft?

Ja, ich denke, du brauchst Leute, die mit dir über dein Manuskript sprechen. Ich bin einfach zu nah an der Geschichte. Ich weiß deshalb manchmal nicht, ob sie gut oder schlecht ist, ob sie interessant ist. Ich habe die ganze Zeit die Ideen und Informationen im Kopf. Ich weiß zu viel und es ist schwer zu entscheiden, was der Leser davon wissen sollte. Es ist wichtig für mich, zu erfahren, ob die Charaktere interessant und glaubwürdig sind, oder ob es nötig ist, mehr über sie zu wissen; ob die Geschichte gut läuft oder langweilig wird, ab wann sie langweilig ist und warum. Wenn jemand einen Charakter nicht mag, möchte ich wissen, warum das so ist.

Ich bin einfach zu nah dran und froh, wenn meine Ideen jemand gegenprüft.

Hast Du schon mal ein Buchprojekt aufgegeben, weil es uninteressant für Dich wurde?

Das gab es nur einmal, dass ich mit einem Buch begonnen habe, das ich dann nicht mehr sehr mochte und das auch nicht mehr richtig interessant für mich war. In der Zwischenzeit hatte ich eine viel interessantere Idee. So gab ich die erste Idee auf und begann mit der neuen.

Normalerweise bleibe ich aber bei meinen Ideen und schreibe das Buch durch.

Du wählst immer starke Frauencharaktere als Hauptfiguren aus. Wie viel von diesen Charakteren bist Du selbst?

Von mir steckt immer viel in den Frauenfiguren. Das ist allerdings von Buch zu Buch sehr unterschiedlich. In manchen Büchern kommen größere Teile meiner Persönlichkeit zum Tragen. So ist viel von meinem Humor in den Frauen. Manchmal ist da auch einiges von meinem Temperament. Ich bin sehr ungeduldig.

In wenigen meiner Bücher sind aber auch Männer in der Hauptrolle, meistens geht es aber um Frauen. Und so nutze ich mich, meine Töchter, meine Freundinnen als Vorlage.

Wie lange brauchst Du, um ein Buch zu schreiben?

Es dauert eigentlich immer gleich lang. Mittlerweile bin ich etwas langsamer. Meistens dauert es von der ersten Idee bis zum fertigen Manuskript ein Jahr.

Wie stehst du zu Deinen deutschen Lesern? Magst Du sie?

Sie sind wundervoll. Ich bin mir nicht sicher, warum sie meine Bücher mögen, aber das deutsche Publikum ist sehr anerkennend, sehr engagiert. Sie mögen meine Bücher. Sie sind treu. Sie sind intelligent und stellen kluge Fragen. Sie nehmen die Bücher ernst und das ist toll. Sie verstehen mich irgendwie. Wir scheinen eine gemeinsame Sensibilität zu haben. Ich mag das deutsche Publikum.

 

(Gernot Körner)