Vom Pinguin zur Erzählerin – oder wie Radieschen ein Eigenleben bekam
Die Kinderbuchautorin Cally Stronk im Interview
Sie ist eine echte Allrounderin. Cally Stronk singt, musiziert und schreibt natürlich. Die Berliner Kinderbuchautorin hat mit ihren jüngsten Erfolgen „Giraffenaffen“ und „Mafflies“ jede Menge Aufmerksamkeit erregt. In unserem Interview spricht Sie über sich. Kinder, Musik und ihre Bücher.
War es Dein Kindheitstraum Kinderbücher zu schreiben?
Als Kind wollte ich Schauspielerin werden. Ich wollte entdecken, was hinter den Kulissen passiert und wie Filme und Geschichten entstehen. Aber ich war unglaublich schüchtern und habe eher beobachtet als agiert. In der Grundschule habe ich dann in einem Theaterstück mal einen Pinguin gespielt. Ich dachte, wenn man im Eis lebt, kann man immer Eis essen. Damals wusste ich noch nicht, dass es den Beruf der Autorin überhaupt gibt. Autorenlesungen waren an meiner Schule nicht üblich. Heute haben die Kinder mehr Glück. Sie treffen mögliche Vorbilder und bekommen einen Einblick in künstlerische Berufe.
Hast Du als Kind gerne gelesen?
Bücher fand ich auch als Kind schon toll. Meine Eltern haben uns oft vorgelesen. Als ich dann selber lesen konnte, habe ich alles mögliche verschlungen und sogar heimlich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weiter geht.
Wie ging es dann weiter?
Mit 20 wollte ich dann Sängerin werden, habe in Bands gesungen, Texte geschrieben und ein Album aufgenommen. Aber irgendwie wollte das damals nicht so klappen. Ich war ziemlich verzweifelt und wusste nicht, wo ich hingehöre. Ich habe so viele Jobs ausprobiert, das reicht eigentlich für mehrere Leben. Neben der Uni habe ich Herrenanzüge verkauft und sogar Häuser, habe moderiert, gekellnert, geschauspielert, Artikel für Zeitschriften geschrieben, Filme gedreht und vieles mehr. Erst im Nachhinein ergeben diese unterschiedlichen Stationen einen Sinn. All diese Erfahrungen bilden mittlerweile einen richtigen Schatz, auf den ich beim Schreiben zurückgreifen kann. Vieles, was ich früher künstlerisch versucht und längst abgehakt habe, kommt jetzt rund um meine Tätigkeit als Autorin wieder zurück. Ich schreibe Songs zu meinen Geschichten, die ich in meinen Lesungen mit den Kindern singen kann.
Und wie bist du dann Autorin geworden?
Nach dem Studium habe ich ein Praktikum im Tulipan Verlag gemacht und die Illustratorin Judith Drews kennengelernt. Nach unserem Werbebüchlein „Pino der Pirat braucht Rat“ hat sie mich gefragt, ob ich nicht noch Ideen für „richtige“ Bücher hätte und ich habe ihr zwei Konzepte geschickt, zu denen sie Probeillustrationen gemacht hat. Die hat sie dann nach Bologna auf die Kinderbuchmesse mitgenommen und gleich am ersten Tag verkauft. Ich war gerade in Neuseeland am Strand als sie mir die Nachricht geschrieben hat und habe mich riesig gefreut.
Dann bin ich im Atelier Flora gelandet und wir haben gemeinsam unter anderem die Kinderbücher „Alles Farbe!“ und „Stell die Welt auf den Kopf!“ gemacht, für die ich die Texte geschrieben habe. Aber auch Pappbilderbücher, Pixibücher und Bilderbücher sind in dieser Zeit entstanden. Und eine tolle Abenteuer-Geschichte mit Experimenten für das Fraunhofer Institut: „Romy, Julian und der Superverstärker“, mit Steffen Herzberg, mit dem ich später auch die Giraffenaffen entwickelt habe.
Wie kam es denn zu den Giraffenaffen-Büchern?
Das war ein bisschen wie im Märchen. Irgendwann rief Imke Ahrens vom Dressler Verlag an und hat mich gefragt, ob ich nicht die Giraffenaffen-Bücher schreiben möchte. Sie hatte mich im Internet gefunden. Es gab damals schon die Idee zu den Musik-CDs, aber noch keine Charaktere und keine Welt. Steffen und ich haben dann die Süßsee kreiert, die im Norden nach Himbeer schmeckt und im Osten nach Melonenlimonade, sowie eine Insel, auf der es eine ganz eigene Flora und Fauna gibt und einen Haufen lustiger Giraffenaffencharaktere.
Du hast immer ein Instrument dabei. Wie wichtig ist Dir die Musik bei Deinen Büchern?
Die Giraffenaffen waren ja ursprünglich als Musikprojekt angelegt und die Bücher kamen dann dazu. Bei den Mafflies war das andersherum. Mitten beim Schreiben hat mein Charakter Radieschen ein Eigenleben bekommen. Er sprang in der Szene plötzlich auf einen Umzugskarton und begann zu singen, das ist irgendwie automatisch passiert. Zum Glück, denn es macht riesig Spaß bei den Lesungen mit der Maffliestimme und meiner Ukulele Songs zu performen. Bei dem Mafflie-Song „Ich bin hier der Chef!“ kann das Publikum mitmachen und eines der Kinder bekommt sogar einen Sonderpart mit Trillerpfeife. Dabei haben die Kinder großen Spaß. Musik und Geschichten gehören für mich sowieso zusammen. Texte haben ja immer auch aus einem erzählerischen Rhythmus.
Du liest viel an Schulen und Kindergärten. Wie wichtig ist Dir der Kontakt mit den Kindern?
Ich lerne total viel von den Kindern, was sie beschäftigt, was sie begeistert und was sie lustig finden. Mit einer Kindergartengruppe habe ich mal gemeinsam eine Geschichte entwickelt, die die Kinder dann auch selbst illustriert haben. Es war unglaublich, zu sehen, wie viel Talent bei den Kindern vorhanden ist. Jedes Kind ist so einzigartig: das eine kann gut zeichnen, das nächste hat fantastische Ideen und Sprüche auf Lager und bei manchen Kindern ist das noch total verborgen. Da war ein Kind in der Gruppe, das konnte zu Beginn nur Kringel und Wellen malen und hat am Ende, nachdem wir alles gemeinsam durchdacht haben, ein großartiges Schiff gezeichnet.
Die Kinder hatten viel Spaß und haben nebenbei etwa gelernt, ein Team zu sein und an Dingen über einen längeren Zeitraum zu arbeiten. Dass sie gemeinsam ein Buch gemacht haben, das auch wirklich gedruckt wurde, hat sie sehr motiviert, bald schreiben und lesen zu lernen. Am Ende des Projektes habe ich gefragt, was sich die Kinder wünschen würden, wenn sie irgendetwas erfinden könnten: Ein Junge antwortete mir: „Ich wünsche mir einen Stift, der für mich schreiben lernt.“
Daraus ist das Projekt „Huch, wir schreiben ein Buch!“ entstanden, das auf www.sternenschiffbuch.blogspot.de dokumentiert ist.
Was beeindruckt Dich an Kindern dabei am meisten?
Kinder haben großartige Ideen. Sie leben in einer anderen Welt als die meisten Erwachsenen. Da ist Magie noch möglich und denkbar. Sie haben auch eine ganz eigene Logik. Je jünger die Kinder, desto kreativer sind sie noch. Das geht oft mit dem Älterwerden verloren. Wir als Autoren müssen neben der Liebe, Leidenschaft und Disziplin, die wir für unsere Arbeit brauchen, auch genau diese Magie und kindliche Neugierde in uns immer wieder kultivieren.
Hast du ein paar Tipps für Lehrer, wie sie Bücher besser an die Kinder heranbringen können?
Das Wichtigste ist, die Kinder bei dem abzuholen, was sie begeistert. Bücher dürfen nicht belehren, sie sollen in erster Linie Spaß machen. Wenn es spannend und lustig ist, wollen Kinder automatisch mehr wissen. Gelernt wird nebenbei. Je früher man Kinder in Kontakt mit Büchern bringt und ihnen vorliest, umso besser.
Aber natürlich muss man auch individuell auf die Bedürfnisse eingehen. Manchen Kindern fehlt beim Alleinelesen die soziale Interaktion, ihnen helfen vielleicht Leseclubs und der Austausch untereinander. Ansonsten kann man natürlich auch mal mit verteilten Rollen lesen, Szenen nachspielen oder erst einen Film schauen und dann das dazugehörige Buch lesen. Viele Lehrer und Eltern machen das schon ganz richtig. Vorlesen, tolle Autoren einladen, Bibliotheken besuchen … wenn selbst das Herz für Bücher schlägt, ist das schon eine gute Voraussetzung.
Sind deine Bücher eher für Jungs oder für Mädchen geeignet?
Meine Serien „Giraffenaffen“ und „Mafflies“ sind gleichermaßen für Jungs und für Mädchen geeignet. Die Giraffenaffen leben in der kunterbunten Süßsee. Als Identifikationsfiguren haben wir die Zwillinge Luca und Lea. Sie stechen in See um einen Goldlöwen zu retten, fliegen zum Mond und suchen nach der Ursache des lauten Gebrülls, das über ihre Insel dröhnt. Es geht immer wieder um Freundschaft und gegenseitige Hilfe, das sind Werte die alle gleichermaßen ansprechen.
Auch die Mafflies sind für beide Geschlechter prima geeignet.
Es ist eine Geschichte rund um eine Patchworkfamilie, die erstmal eine werden muss. Die Eltern sind frisch verliebt, ziehen zusammen und die Kinder aus ihren vorherigen Beziehungen nehmen sie dabei einfach mit in ihr neues Zuhause. Max und Lara fühlen sich dadurch überrumpelt und sind wütend auf ihre Eltern. Und dann ist auch noch Lara so gemein zu Max. Wie gut, dass ein daumengroßer Nicht-Kobold, ein Mafflie Namens Radieschen, auftaucht und Max anbietet, ihm zu helfen diese doofe Lara loszuwerden. Die beiden denken sich allerhand aus, um Lara eins auszuwischen, doch irgendwie geht alles schief, Lara hat nämlich auch ein Geheimnis …
An den Streichen und Fallen, die sich Max und der kleine Mafflie ausdenken, haben beide Geschlechter Spaß. Und auch die Erwachsenen sitzen oft kichernd in meiner Lesung. An der ein oder anderen Stelle im Buch sind die Streiche aber auch einfach unangebracht und überschreiten Grenzen. Ich finde es wichtig, den Kindern klarzumachen, dass Streiche gewisse Regeln einhalten müssen und niemanden verletzen dürfen.
Was ist Dein nächstes Projekt?
Ich schreibe gerade am zweiten Band der Mafflies. Er heißt „Die Geburtstagsparty“. Die Geschichte ist fast fertig. Nina Hammerle zeichnet schon fleißig an den Bildern. Es geht darum, dass die beiden Kinder Max und Lara sich gerade wieder vertragen haben, da sorgt unser frecher Mafflie „Radieschen“ für neue Probleme.
Geschichten zu entwickeln und Storywelten zu bauen und in die Charaktere zu schlüpfen macht mir einfach unheimlich viel Spaß. Ich bin ja auch eine Parallelarbeiterin. Während die eine Geschichte im Lektorat ist, bastle ich schon an der nächsten Welt. Ich arbeite quasi an mehreren Projekten in verschiedenen Phasen gleichzeitig. Derzeit plotte ich an einer neue Serie, die 2017 im Ravensburger Verlag erscheinen wird. Die entwickle ich gemeinsam mit der Illustratorin Constanze von Kitzing. Es wird eine neue Erstlesereihe, die besonders Mädchen gefallen wird. Ich bin schon sehr gespannt darauf wie sich unsere Geschichten während des Schreibens entwickeln und wie die fertigen Bücher aussehen werden. Es ist immer wieder ein kleines Wunder, was da entsteht. Für die monatelange, harte Schreibarbeit werde ich am Ende belohnt, wenn ich aus dem neu erschienenen Buch vorlese und die Kinder mir zeigen, dass sie die Geschichte toll finden.