Sag mir, wohin du gehst
Als Studenten in SA-Uniform auf Anweisung von Joseph Goebbels am 10. Mai 1933 Bücher mit den Worten „Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner“ ins Feuer warfen, stand Erich Kästner am Rande des Platzes und sah zu. 22 Jahre später, am 3. Oktober 1965, versammelten sich Jugendliche des „Bundes Entschiedener Christen“ in Düsseldorf und verbrannten mit Genehmigung des Ordnungsamtes Bücher von Erich Kästner, Günter Grass, Vladimir Nabokov, Albert Camus und anderer Autoren.
Kästner wäre nicht Kästner, wenn er sich zu allen Zeiten mit der Rolle des Opfers beschieden hätte. Zwar nicht höflich aber notwendig – wie es später bei ihm heißt – empfand er es, über die Ereignisse genau zu berichten. Nun hat der Atrium Verlag erstmals vier Texte Kästners zusammengestellt, in denen der Autor erzählt, was 1933 geschah, wie und warum es geschah und warum es wieder geschah.
In dieser Kombination sind die Schriften Kästners nicht nur beeindruckendes Zeitzeugnis, sondern eben auch – und wie immer bei Kästner – klare und peinlich genaue Analyse der Vorgänge und Anklage gegen die Täter. So hat Kästner mit seiner Schreibmaschine gegen die Dummheit und das Verbrechen zu allen Zeiten gefochten. In seinem ihm eigenen demaskierenden und sarkastischem Stil nennt er Täter und ihre Handlungen mit Vor- und Nachnamen.
So ist Kästners „Über das Verbrennen von Büchern“ ein Zeugnis für die Pathologie einer Gesellschaft, die auch für ihre schlimmsten Verbrechen nicht um irgendwelche weithergeholten scheinlogischen Begründungen verlegen ist – auch wenn sie im Nachhinein noch so schwachsinnig erscheinen mögen.
Ein hübscher kleiner Band mit deutlich mehr Aussage als Seiten.
Über den Autor:
Erich Kästner, 1899 in Dresden geboren, begründete gleich mit seinen ersten beiden Büchern seinen Weltruhm: „Herz auf Taille“ (1928) und „Emil und die Detektive“ (1929). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden seine Bücher verbrannt, er erhielt Publikationsverbot, sein Werk erschien nunmehr in der Schweiz beim Atrium Verlag. Erich Kästner erhielt zahlreiche literarische Auszeichnungen, etwa den Georg-Büchner-Preis. Er starb 1974 in München.