Freedom is just another word for nothin’ left to lose (Janis Joplin)

Zehn palästinensiche Autoren beschreiben in Poesie und Prosa Stimmungen, Gedanken, Hoffnung, Verzweiflung, Träume, Ängste, Resignation. Sie schreiben gegen das Vergessen und gegen den prägenden Satz von Golda Meir „Es gibt kein palästinensisches Volk.“

Aus objektiver wie aus subjektiver Sicht kann man sich als Leser einfühlen und mitfühlen und die Zermürbung durch permanente Entwürdigung zutiefst nachempfinden.

Zumindest im deutschen Grundgesetz heißt es „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

Neben den immer wieder aufflammenden kriegerischen Handlungen mit Zerstörung und Vertreibung sind es die alltäglichen Herabsetzungen durch die „moralischste Armee der Welt“, ( Azem: „Wir töten nicht und sind es nicht gewohnt zu töten, weil wir barmherzig sind. Wir leiden, wenn wir diejenigen töten, die uns töten wollen“).
Bürokratische papiertigerhafte Willkür ist ein weiteres Faktum der Macht. Für alles und jenes wird eine Genehmigung, ein Passierschein verlangt, jedoch viel zu oft verweigert. Emil Habibi fragt, ob man auch für das Verlassen des Mutterbauches eine Genehmigung benötige. Mahmud Darwish erzählt von einem Vater, dessen krankes Kind auf seinem Schoß verstarb, während sie auf einen Passierschein zur Klinik warteten. Farhat-Naser berichtet von den Leibesvisitationen an den Grenzübergängen: Frauen müssen sich vor den Soldatinnen nackt ausziehen und sogar ihre Binden wechseln. Frauen, die besseren Menschen?

Jenseits aller politischen Polemik und Hybris werden uns Einblicke und Augenblicke in das Leben von Menschen gewährt, die diese Entwürdigung alltäglich erleben müssen.

Sie bekommen in diesen kurzen Texten eine Stimme. Sie spüren Ohnmacht und Traumata auf. Aus der Psychologie weiß man, dass Traumata vererbbar sind. Sie prägen die Menschen oft über Generationen hinweg. Das trifft auf beide Völker zu, gibt aber dem einen Volk nicht das Recht, das andere ebenfalls zu traumatisieren.

Die Menschen sind Schachfiguren im Spiel der Mächte um Geopolitik und göttliche Versprechen. Sie sind Spielbälle, herausgefallen aus dem Osmanischen Großreich und dem britischen Mandatsgebiet.

Diese multiperspektivischen Textsplitter machen betroffen, berühren und ändern doch nichts außer angelesener Betroffenheit Es wäre nach hebräischem Gesetz ein Tikum Olam – die Reparatur der Welt – erforderlich. Und die beginnt in den Köpfen. Erfordert Mut, Wachheit, Kompromisse. Und Widerstand.
So kann man nur hoffen, dass der Flügelschlag eines Schmetterlings eines Tages einen Friedensprozess auslösen wird. Und sich der gordische Knoten eines jahrzehntelangen Konflikts, der weit über die eigentliche Region hinausreicht, lösen lässt.

Danke an den Lenos-Verlag für die Veröffentlichung dieser „einsichtigen“ Texte.

Almut Scheller-Mahmoud

cover-ich_bin_hierBibliografie:

Ich bin hier, bin nicht tot, noch nicht

Palästinensische Stimmen

Paperback
ISBN 978-3-03925-041-7
Seiten 122
Erschienen 8. Oktober 2024
€ 15.00 / Fr. 15.00

Lenos Verlag

 

Autorinnen und Autoren:

Asmaa al-Atawna
Ibtisam Azem
Asmi Bischara
Machmud Darwisch
Dschabra Ibrahim Dschabra
Sumaya Farhat-Naser
Emil Habibi
Ghassan Kanafani

Aus dem Arabischen von Farouk S. Beydoun, Hartmut Fähndrich, Joël László, Kristina Stock, Edward Badeen, Ibrahim Abu Hashhash, Frank Griffel, Angelika Neuwirth, Friederike Pannewick, Joachim Paul und Saleh Srouji sowie aus dem Englischen von Lorenz Oehler