Es ist noch gar nicht lange her, da gab es auf dieser Erde noch die einsamen Inseln und etliche unerforschte Landstriche. Als Ende des 19. Jahrhunderts die Ethnologie entstand und in den folgenden Jahrzehnten junge Wissenschaftler in die hintersten Winkel der Welt reisten, um fremde Kulturen zu entdecken und zu erforschen, fühlten sich viele von Ihnen genauso als Wissenschaftler wie als Abenteurer. Indiana Jones ist wohl der bekannteste Protagonist dafür.
Diese faszinierende Welt der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ist die Bühne für Lily Kings Roman „Euphoria“. Im Dschungel Neuguineas begegnen sich drei junge Ethnologen: die bereits berühmte Amerikanerin Nell Stone, deren Mann, der Australier Schuyler Fenwick und der Engländer Andrew Bankson. Sie erforschen teils alleine, teils gemeinsam die Kulturen einiger Naturvölker am Fluss Sepik. Sie entdecken dabei Begeisterndes, Alltägliches und manches Mal Abstoßendes. Dabei ziehen nicht nur die Einheimischen sie in ihren Bann. Auch miteinander erleben Nell, Fen und Bankson eine äußerst bewegte Zeit.
Kings Buch ist ein Roman über Menschen. Um uns einen tiefen, intimen Einblick in sie zu bieten, wählt sie gleich drei Erzählperspektiven. Sie beginnt mit der allgemeinen, personalen Erzählsituation, in der sie in verschiedenen Situationen ihre Protagonisten einführt. „Einer von den Mumbanyo warf ihnen noch etwas nach, als sie ablegten. Etwas Bräunliches. Es dümpelte ein Stück hinter dem Einbaum im Wasser. ,Nur wieder ein toter Säugling’, sagte Fen. Sie konnte nicht sicher sein, dass es ein Witz war. Er hatte ihr schon vor einer Weile die Brille zerbrochen.“ Schon auf Seite 19 wechselt sie die Perspektive. Andrew Bankson erzählt seine Geschichte als Ich-Erzähler. „Drei Tage zuvor hatte ich versucht, mich im Fluss zu ertränken.“ Endlich führt sie noch eine weitere Ebene ein: Als Bankson das Tagebuch von Nell weit nach seiner Zeit am Sepik erhält, lesen wir von nun ab ihre persönlichen und intimem Gedanken. Zwischen Tagebuch und Ich-Erzählung wechselt die Autorin nun ständig. Auf diese Weise gelingt es ihr, den Blick auf Psyche und Seele der beiden Hauptakteure zu richten, während Fen für den Leser immer ein Fremder bleibt. Wobei alle Hauptcharaktere klar und glaubhaft erscheinen.
Über die Autorin
Lily King, geboren 1962, lebt mit ihrer Familie in Maine. Für Ihre Romane erhielt sie unter anderem den „New England Award für Fiction“, den , den „Whiting Award“ und den „Maine Fiction Award“.
„Euphoria“ wurde mit dem neu geschaffenen „Kirkus Prize“ ausgezeichnet und von der New York Times unter die fünf besten literarischen Bücher des Jahres 2014 gewählt.