Auf der Schattenseiteder Dieb_Cover

Diebe und Mörder gehören schon lange zu den Lieblingsfiguren in Literatur und Film. Bieten sie doch die Möglichkeit einen Blick in eine düstere und aufregende Welt zu werfen, die sowohl fasziniert, als auch abstößt. Fuminori Nakamuras erster ins Deutsche übersetzte Roman trägt den „Dieb“ sogar als Titel. Dabei erzählt er nicht nur aus dem Leben eines Ganoven, die Geschichte geht viel tiefer.

Nishimura ist ein Taschendieb aus Leidenschaft. Nach einigen Jahren im Exil kehrt er zurück nach Tokio, um dort seiner Kunst des Stehlens nachzugehen. Doch nicht ohne Grund hatte er die Hauptstadt verlassen. Während Nishimura seinen Gedanken nachhängt und seine Umgebung aufmerksam aber zunehmend nervös beobachtet, erfährt der Leser von vergangener Freundschaft und verlorener Liebe. Und vom Schatten des organisierten Verbrechens, der über Nishimuras Leben liegt und droht ihn zu verschlingen.

Mit kurzen klaren Sätzen beschreibt Nakamura die Welt, wie sie aus den Augen des ruhigen, konzentrierten Nishimura aussieht. Verbrechen, Sexualität und das Leben auf der düsteren Seite der Gesellschaft sind Themen, die auch die Pop-Literatur liebt. Aber Nakamura behandelt dieses Sujet ohne übertriebene Aufregung mit dem Blick eines Dokumentarfilmers und durch die Gedanken eines Protagonisten, der fast ein bisschen zu feinsinnig und gutmütig erscheint für das Leben im Zwielicht.

In seinen Erinnerungen an verlorene Freunde, aber auch in den Gesprächen mit einem kleinen Jungen, den er beim Stehlen im Supermarkt erwischt, klingen viele große Themen an.

Hoffnungen und Wünsche nach Freiheit und Selbstbestimmung, aber auch nach Idealen, nach Achtung und Selbstwertgefühl. Nishimura bewegt sich in einer Welt, in der der Wunsch etwas zu erreichen, jemand zu sein, Stolz auf sich sein zu können, aber auch schlicht nach Sicherheit und ein wenig Glück immer wieder enttäuscht wird.

Stattdessen erleben die Menschen Zwang, Bevormundung und Selbstzerstörung. Das beginnt damit kein Geld für Essen zu haben und endet oft in den Fängen Ränke schmiedender Unterweltgrößen, an der Nadel oder auf dem Strich.

Die Fragen nach Freiheit und Gerechtigkeit, nach dem Schicksal und dem Glück sind Fragen die jeden Menschen betreffen. Durch die Wahl des Milieus gibt Nakamura ihnen nur eine besondere Größe und Dramatik.

Zugleich ist „Der Dieb“ eine gut konstruierte Geschichte, die auf einen klaren Höhepunkt zustrebt und die Spannung konsequent steigert. In der zweiten Hälfte des kurzen Romans fiebert der Leser mit dem Antihelden mit, wenn er all seine Diebesfertigkeiten aufbringen muss, in der Hoffnung dem Unausweichlichen zu entgehen.

Ein dramatischer Thriller und zugleich eine Milieustudie, die Nakamura aufs Wesentliche verdichtet. Düster, kühl, spannend und absolut lesenswert.

(Tobias Schudok)

Bibliographie

Fuminori Nakamura
Der Dieb

übersetzt von Thomas Eggenberg
Diogenes

Hardcover, 224 Seiten
ISBN 978-3-257-06945-7