Grit Poppe: Weggesperrt
Gerade, klare und offene Menschen sind die beste Voraussetzung für alle politischen und gesellschaftlichen Prozesse. In der DDR galt der sozialistische Mensch, der im Kollektiv das Staatssystem trägt, als Ziel des Erziehungs- und Bildungssystems. Wer erfolgreich sein wollte, musste sich einfügen und anpassen. Kritik am System konnte üble Folgen haben.
In Weggesperrt erzählt Grit Poppe die Geschichte der 14-jährigen Anja. Diese landet 1988 in einem Jugendwerkhof, einer Erziehungsanstalt, die eher einer Jugendstrafanstalt gleicht. Ihr Verbrechen: Ihre Mutter hatte einen Ausreiseantrag gestellt.
Eindrücklich und im Detail schildert die Autorin die Verhältnisse in den Jugendwerkhöfen in einem System, in dem das sozialistische Experiment längst gescheitert war. Statt für die Ideologie zu werben und zu überzeugen, setzen die sogenannten „Erzieher“ auf Entwürdigung, Freiheitsentzug, Isolation, Zwang, Drill und Strafen. Die Kinder und Jugendlichen sind der Willkür und Brutalität der Erwachsenen ausgesetzt. Deren Ziel ist es, ihre Schutzbefohlenen in ihrem Willen und ihrer Eigenständigkeit zu brechen, um sie zu willfährigen, kritiklosen Mitläufern des Systems zu formen. Da ist etwa der sadistische „Holzfäller“ Kossack oder die macht- und gewaltbesessene „Leiterin“ Feist, die ihren Drill bis zur Absurdität steigert.
Dem ist Anja ausgeliefert, die ohne juristisches Verfahren und richterlichen Beschluss fassungs- und hilflos immer schlimmere Qualen erdulden muss. Doch Anja gibt niemals auf. Trotz allem gelingt es ihr, sich in ihrer eigenen inneren Welt weiter zu entwickeln und ihre Menschlichkeit zu wahren.
Vielschichtig und dennoch klar baut Grit Poppe die Charaktere auf. Sorgsam stellt sie diese in das wie immer sauber und detailliert recherchierte Umfeld. So stützt sie ihr Buch eben in erster Linie auf die Berichte von Zeitzeugen. Sie erzählt eine packende, bedrückende und spannende Geschichte, die vor allem ein Appell gegen das Vergessen ist. Auch wenn das Erzählte knallhart und bedrückend ist, übertreibt sie niemals und überschreitet die Grenzen zur Geschmacklosigkeit nicht. Sie öffnet den Blick auf ein System, das für viele schon weit in der Vergangenheit liegt. Indem sie zudem die kranke Logik der damaligen Verhältnisse schonungslos entlarvt, gelingt es ihr sogar, dass die Leser den Wahnsinn verstehen lernen, der so viele ins Unglück gestürzt hat.
So steht am Ende nicht nur die Erleichterung über die Überwindung des Systems, sondern auch die Frage nach jenen Kossacks und Feists, die ihre Mitmenschen lange gequält haben und von einem Tag auf den anderen auf seltsame Art und Weise verschwanden oder zu staatstragenden, freundlichen Demokraten mutierten.
Über die Autorin:
Grit Poppe, 1964 in Boltenhagen an der Ostsee geboren, studierte am Literaturinstitut in Leipzig. Von 1989 bis 1992 engagierte sie sich in der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“. Heute schreibt sie Bücher für Kinder und Jugendliche. Für ihren ersten Jugendroman „Weggesperrt“, der 2009 im Dressler Verlag erschien, wurde sie mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem „Gustav-Heinemann-Friedenspreis für Kinder- und Jugendliteratur“. Grit Poppe lebt mit ihrer Familie in Potsdam.