Über Mut, Verantwortung und Gerechtigkeit
Deutschland in den 50er Jahren: Wirtschaftswunder, Adenauer, Petticoats, Elvis und VW-Käfer … Der Kalte Krieg hat begonnen und das Dritte Reich der Nazis liegt weit in der Vergangenheit – so scheint es zumindest. Zumindest will kaum mehr jemand etwas davon wissen.
Genau in dieser Zeit und basierend auf wahren Begebenheiten spielt Giulio Ricciarellis Filmdrama im „Labyrinth des Schweigens“. Johann Radmann (Alexander Fehling) ist gerade Staatsanwalt geworden, als der Journalist Thomas Gnielka (André Szymanski) im Gerichtsgebäude für Aufruhr sorgt. Er will einen ehemaligen Wärter des Vernichtungslagers Auschwitz anzeigen, den sein Bekannter Simon Kirsch (Johannes Krisch) als Lehrer auf einem Schulhof gesehen hat. Gnielka stößt auf Ablehnung. Lediglich der junge Radmann interessiert sich und beginnt gegen den Willen seiner Vorgesetzten zu ermitteln. Nur Generalstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss) unterstützt ihn. Je mehr Greuel Radmann aufdeckt, je stärker scheint die Ablehnung seiner Kollegen. Bald sieht er sich einem mächtigen Geflecht aus Altnazis und deren Mitläufern gegenüber. Der Fall, der einen ungeahnte Dimension an schrecklichen Verbrechen ans Tageslicht bringt, droht in zu erdrücken. Dennoch gelingt es ihm, viele der Verantwortlichen vor Gericht zu bringen.
Mit viel Fingerspitzengefühl skizziert Giulio Ricciarelli das Lebensgefühl der Menschen in der westdeutschen Gesellschaft in den Fünfzigern, die lieber vergessen wollen, um nur noch nach vorne zu schauen. Teilweise mutet es seltsam an, wenn fast jeder an jedem Ort raucht, Staatsanwalt Radmann ohne Helm Roller fährt und ganz nebenbei der Radiosprecher erklärt, dass Frauen weiterhin nur mit Zustimmung ihres Mannes arbeiten dürfen. Diese Alltagselemente führen in eine Zeit ein, die eben nicht nur als die Wirtschafswunderjahre und der Beginn des Kalten Krieges in die Geschichte eingehen sollten. Es ist auch jene Zeit, in der systematisch Anstrengungen unternommen werden, die Schuld der Vergangenheit unter den Teppich zu kehren, und in der ehemalige Nazigrößen durch die Unterstützung mächtiger Netzwerke Schutz vor der Justiz finden.
Letztlich ist es die harte Arbeit weniger, denen es gegen erbitterten Widerstand gelingt, ein Stück Wahrheit ans Licht zu bringen.
Spannend, packend und hochemotional ist Ricciarellis neuer Film. Dabei geht es ihm ganz offensichtlich nicht darum, ein Urteil zu fällen, um Schuld klar zuzuweisen. Durch immer neue Enthüllungen entsteht ein Bild der Vergangenheit, in der es brutale Täter gab, in der aber jeder auf seine Weise involviert war, in der das Unrecht nicht 1945 endete und die Menschen ebenso wenig plötzlich von obrigkeitshörigen Untertanen zu selbstbewussten Demokraten mutierten.
Beeindruckend ist auch das Ensemble aus zum Teil jungen, aber auch etablierten Darstellern. Allen voran glänzt Alexander Fehling in der Rolle des Staatsanwalts. André Szymanski als Journalist, Friederike Becht als Radmanns Freundin, Johannes Kirsch als ehemaliger Auschwitz Häftling, Hansi Jochmann als Sekretärin, Robert Hunger-Bühler als Staatsanwalt sowie Johann von Bülow überzeugen in ihren Rollen. Gert Voss als Generalstaatsanwalt Fritz Bauer hinterlässt den tiefen und glaubwürdigen Eindruck des erfahrenen Nazijägers.
Im Labyrinth des Schweigens ist eine fesselnde Geschichte, die zum einen ein enthüllendes Schlaglicht auf die fünfziger Jahre wirft und zum anderen über den Kampf für Mut, Verantwortung und Gerechtigkeit. Der Film beleuchtet ein Stück Zeitgeschichte und versucht eine Antwort auf die Greuel zu finden, die in Auschwitz geschehen sind. Eine Möglichkeit bietet Ricciarelli selbst an, wenn er Radmann sagen lässt: „Die einzige Antwort auf Auschwitz ist, selber das Richtige zu tun.“
Auch deshalb ist der Film bestens für den Einsatz im Unterricht geeignet. Gemeinsam mit ihrem Partner Universal Pictures International Germany stellt die Stiftung Lesen Lehrkräften didaktisches Impulsmaterial zum Film für den fächerübergreifenden Einsatz in den Klassen 9 bis 12 zur Verfügung.
Im Labyrinth des Schweigens
Kinostart: 6. November 2014
123 Minuten
FSK 12 Jahre
Regie: Giulio Ricciarelli
Drehbuch: Elisabeth Bartel
Giulio Ricciarelli