Auf einer Insel mit zwei Bergen
„Das Land, in dem Lukas der Lokomotivführer lebte, hieß Lummerland und war nur sehr klein“, spricht die ruhige Erzählerstimme von Thomas Fritsch. Damit beginnt die Geschichte von Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer. Der Regisseur Dennis Gansel erweckt die Welt des berühmten Kinderbuchs von Michael Ende in der ersten Realverfilmung zum Leben. Daran, dass sich eine Buchverfilmung an der Vorlage messen muss, führt selten ein Weg vorbei. Dieser Film orientiert sich an ihr und macht doch vieles anders.
Als ein Paket mit einem schwarzen Kind auf der kleinen Insel Lummerland ankommt, ist schnell klar, dass es sich wohl um eine Verwechslung handelt. Immerhin gibt es keine Frau Mahlzahn, an die das Paket adressiert ist, auf Lummerland. Also soll sich die einzige Frau, Frau Waas (Annette Frier), auf königlichen Befehl hin um das Kind kümmern. Lukas (Henning Baum), der Lokomotivführer der Insel, tauft das Kind auf den Namen Jim.
Einige Jahre später gibt es jedoch ein Problem: Die Insel ist zu klein um dem neuen Bewohner auch noch ein Haus zu ermöglichen. König Alfons der Viertel-vor-Zwölfte (Uwe Ochsenknecht) befiehlt, dass die Lokomotive Emma mitsamt ihrer Eisenbahnstrecke weichen muss, um Platz zu schaffen. Lukas, der inzwischen der beste Freund von Jim (Solomon Gordon) ist, plant, die Insel nun gemeinsam mit Emma zu verlassen. Doch Jim will seinen Freund nicht alleine fahren lassen und so machen sich die beiden mit Emma auf den Weg.
Auf ihrer Reise müssen sie viele Hindernisse überwinden, von mächtigen Bürokraten, über gewaltige Berge, bis hin zu fiesen Drachen, die sich als Lehrer aufspielen. Doch ebenso finden sie auch wundervolle Orte und freundliche Wesen, die zum Teil nur von weitem böse aussehen.
Der Film grenzt sich bewusst in einigen Punkten von der Buchvorlage ab. Es gibt viele Kleinigkeiten, die den Film vom Buch unterscheiden, aber auffällig ist die Tatsache, dass Jim lesen und schreiben kann. Dadurch muss er seinen Abschiedsbrief nicht zwingend malen. Dennoch tut er es, nur um dann doch noch einen Satz darunter zu setzen. Er bemerkt schon auf der Insel, dass er adoptiert ist, obwohl das in der Vorlage erst in der Hauptstadt des Landes Mandala geschieht. Das Thema der Reise zweier (beziehungsweise dreier, wenn man Emma mitzählt) Freunde bleibt erhalten, gerät jedoch im Film zu Jims Suche nach seiner Familie. Schulische Bildung, die im Buch eine große Rolle spielt, taucht im Film kaum auf. Hier muss niemand Jim dazu bringen, Lesen und Schreiben zu lernen. Dadurch weicht auch der weitere Verlauf des Films etwas von dem im Buch ab.
Gordon stellt Jim Knopf aufgeweckt und als das Kind, das er ist, dar. Er spielt Herrn Ärmel (Christoph Maria Herbst) gerne Streiche und hat Spaß in seinem Leben. Doch gehört Traurigkeit ebenso dazu, als er bemerkt, dass er nicht Frau Waas‘ leiblicher Sohn ist. Gordon zeigt dabei die ganze Bandbreite an menschlichen Emotionen. Es ist seine erste Hauptrolle in einem Kinofilm.
Baum überzeugt als Lukas auf ganzer Linie. Er verkörpert ihn in all seinen Facetten, auch wenn er nicht rußgeschwärzt ist. Er spielt ihn als starken, unbeugsamen Freund, der Jim beschützt, aber sich auch Sorgen macht, wenn dies nicht in seiner Macht steht.
König Alfons wirkt zerstreut und verwirrt, obwohl dies im Buch nirgends vorkommt. Diese Interpretation von Uwe Ochsenknecht sieht jedoch ungemein glaubwürdig aus.
Annette Frier als Frau Waas ist wohl etwas zu dünn für die Vorlage. Doch sie spielt die liebende Adoptivmutter auf jeden Fall so, dass der Zuschauer ihr diese Liebe glaubt.
Die Handlung des Filmes bleibt durchgehend stimmig. Hier gibt es eine klare Linie, die nicht verlassen wird, während im Buch einige Handlungsstränge erst über Umwege weiterkommen. Das strafft den Film und spart Zeit.
Obwohl das Gezeigte oft fantastisch ist, wirkt es lebensecht. Und auch, wenn nirgends durchsichtige Bäume stehen, aus denen die Flora Mandalas im Buch besteht, sind alle Landschaften wunderbar und fantasievoll. Je nachdem wo sich die Akteure befinden, wechselt die Farbgebung. Anfangs ist es noch sehr bunt und farbenfroh auf Lummerland und in Ping, aber zwischendurch wird es dunkel und grau in Kummerland oder der Region der schwarzen Felsen.
Die Musik von Ralf Wengenmayr trägt Nostalgie in sich. Auch die berühmte Melodie des Liedes „Eine Insel mit zwei Bergen“ kann der aufmerksame Zuhörer immer wieder herauszuhören.
Der Film ist einfach wunderschön anzusehen. Alle, die das Buch nicht gelesen haben, können ihn unbeschwert genießen und alle, die es gelesen haben, als eine aktualisierte Form betrachten. Beiden wird er sicherlich gefallen.
Michael Kronschnabl
Dennis Gansel
Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
Filmstart war am 29. März 2018
Filmlänge ca. 110 Minuten
Im Verleih von Warner Bros. Pictures Germany
Foto: © Warner Bros. Entertainment Inc.