Von deutscher Wurst und Grausamkeit

Cover_eitfaden für britische SoldatenGanz entgegen der Nazi-Propaganda war den Alliierten bereits 1943 klar, dass Deutschland im Krieg unterliegen würde. Im Mai des Jahres kam der Gedanke auf, die Soldaten mit einer Art Anleitung auszustatten, wie sie sich als Besatzer in Deutschland zu verhalten hätten. So entstand „Instructions for British Servicemen in Germany 1944“. Bei Kiepenheuer und Witsch ist unlängst eine zweisprachige Ausgabe unter dem deutschen Titel „Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944“ erschienen.

Leidvoll hatte Großbritannien erfahren müssen, dass es ihr als frühere Besatzungsmacht in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg nicht gelungen war, den Militarismus und Expansionsdrang der Deutschen in den Griff zu bekommen. Der 1944 erschienene Leitfaden folgte deshalb drei Prinzipien:

  1. dass alle Deutschen, ganz gleich ob Mitglieder der Nazipartei, für den Krieg mitverantwortlich waren,
  2. dass die Deutschen grundsätzlich umlernen müssten,
  3. dass es zwischen Besatzern und Besetzten keine Fraternisierung geben dürfte.

Dennoch galt es, die Deutschen von den Vorzügen der Demokratie zu überzeugen. Britische Soldaten sollten deshalb gelassen und selbstbewusst auftreten, streng im Umgang mit der besiegten Nation sein, aber gleichzeitig fair und anständig.

Der Leitfaden ist selbstverständlich kein Geschichtsbuch. Er soll einfache, meist sehr junge Soldaten auf ihre Besatzungszeit in einem Land vorbereiten, mit dem sie kurze Zeit zuvor noch im erbitterten Kampf lagen. Dazu gehörte es auch, den britischen Truppen die Mentalität der Deutschen aus der Sicht der Briten näher zu bringen. Deshalb ist der Leitfaden nicht nur ein interessantes historisches Dokument, das die Meinung des Kriegsgegners über Nazideutschland in jener Zeit aufzeigt. Denn trotz der Bemühung um eine einigermaßen faire Darstellung, stellen die Verfasser auch die – gelinde gesagt – Schwachstellen deutscher Mentalität heraus, die sich hie und da bis zum heutigen Tag zumindest in Ansätzen in unserer Gesellschaft gehalten haben.

Da ist zwar auch vom deutschen Fleiß und von deutscher Gründlichkeit die Rede. Deutlich steht hier aber auch, dass die Deutschen seit Jahrhunderten gewohnt waren, sich Autoritäten zu fügen und die Armee mit Absicht die Moral der Rekruten gebrochen habe, um ihr Selbstbewusstsein zu zerstören und sie in widerspruchslose Kampfmaschinen zu verwandeln. Daraus sei ein „merkwürdiges Volk“ entstanden. So sei der Deutsche brutal, solange er siegreich bleibe, werde aber selbstmitleidig und bettle um Mitleid, wenn er geschlagen sei.

All dies habe zu einer Mentalität geführt, die Hitler akzeptierte. „Er kommandierte sie herum, und das gefiel den meisten. Er ersparte ihnen die Mühe des Nachdenkens. Sie mussten lediglich gehorchen und konnten das Denken ihm überlassen.“ Zudem habe Hitler das kranke Selbstbewusstsein der Deutschen genutzt und die Ideologie der Herrenrasse dagegen gesetzt.

Immer wieder ist es dieses so genannte „kranke Selbstbewusstsein“ der Deutschen, aus dem aus Sicht der Briten die schlimmsten Katastrophen entstehen: die Vertrauensbrüche Hitlers gegenüber anderen Nationen, die von den Deutschen letztlich als diplomatische Meisterleistungen empfunden wurden bis hin zu der Ermordung von polnischen und russischen Kindern. Das hilft es wenig, dass die Qualität der deutschen Wurst, des Krauts oder die Schönheit der Landschaft Lob findet.

Es sei noch einmal betont: der Leitfaden ist kein Geschichtsbuch. Aber er wirft ein Schlaglicht auf ein Volk und eine Zeit, die bis zum heutigen Tag noch starke Auswirkungen auf uns haben; auf eine Generation, die zudem noch unter großen Entbehrungen und starker Traumatisierung den Grundstein zu unserer Gesellschaft gelegt hat. Letztlich ist der Band deshalb aufgrund seiner Zweisprachigkeit nicht nur für den Englischunterricht empfehlenswert, sondern für alle Fächer, die sich mit unserem Denken und Handeln befassen.

Bibliographie

The Bodleian Library, University of Oxford
Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944
Zweisprachige Ausgabe (Englisch/Deutsch)

Kiepenheuer & Witsch
160 Seiten, gebunden