„Spazzacamini!“

„Spazzacamini!“ Wenn dieser Ruf in den norditalienischen Städten erklang, waren die Kaminfegerbuben bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts unterwegs, um die Kamine der Stadt zu reinigen. Der Jugendroman „Die Schwarzen Brüder“ erzählt die Geschichte von Giorgio, einem Jungen aus dem Schweizer Kanton Tessin, der aus wirtschaftlicher Not von seinem Vater nach Mailand verkauft wurde, um dort dem damals lebensgefährlichen Beruf eines Kaminfegerburschens nachzugehen.

u1_978-3-7373-6272-6[fusion_builder_container hundred_percent=Der Roman von Lisa Tetzner beruht auf wahren Gegebenheiten und erschien erstmals in zwei Bänden 1940/1941. Tetzner hatte in alten Chroniken vom Schicksal der Kinder erfahren, die aufgrund ihrer geringen Größe in Großstädten wie Mailand eingesetzt wurden, um Kamine von innen zu reinigen – ein lebensgefährliches Unterfangen, das nicht wenige mit ihrem Leben bezahlten. Der Roman wurde zwar von Lisa Tetzner begonnen, aber von ihrem Mann Kurt Kläber (auch bekannt als Kurt Held) zu Ende geführt. Da Kläber vor dem Nazi-Regime in die Schweiz floh und dort als politischer Flüchtling nicht publizieren durfte, wurde das Buch unter dem Namen seiner Frau veröffentlicht. Kläber wurde später als Kurt Held mit dem Roman „Die Rote Zora und ihre Bande“ bekannt.

Aus wirtschaftlicher Not heraus verkauften arme Tessiner Bergbauern bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts oftmals ihre Kinder als Kaminfeger nach Norditalien. Dort mussten sie durch die finsteren Kamine klettern und mit den nackten Händen den Ruß herabwerfen. In ihrem Bund der «Schwarzen Brüder» hielten sie fest zusammen, wehrten sich gegen ihr Schicksal und maßen sich in Kämpfen mit den Mailänder Straßenjungen. Die packenden Abenteuer der Kaminfegerbuben werden hier anhand der Geschichte des kleinen Giorgio erzählt. Giorgio lebte mit seiner Familie hoch oben in den Tessiner Bergen. Es ging ihnen gut. Bis das Schicksal eine andere Wendung nahm: Ernten fielen aus, Hoftiere starben. Giorgios Vater sah sich gezwungen, seinen Sohn an den „Mann mit der Narbe“ zu verkaufen, ein windiger Menschenhändler, der die Not der Menschen mit seinem verabscheuungswürdigen Geschäft zu Geld machte. Nach zahlreichen Strapazen in Mailand angekommen und an einen Kaminfegermeister verkauft, der seine Kaminfegerbuben mit harter Hand behandelt, schließt Giorgio schnell Freundschaften, erlebt die Gefahr seines neuen Berufs am eigenen Leib. Er muss Verluste hinnehmen, Feinden aus dem Weg gehen – und einfach von Tag zu Tag überleben. Giorgios tägliche Gedanken drehen sich nur um eines: Seinem Dasein im Mailand zu entkommen und wieder nach Hause in sein geliebtes Tessin zurückzukehren.

Tetzner und Kälber erzählen eine mitreißende, kurzweilige Geschichte, die vor allem durch ihre Authentizität punktet: Die beiden Schriftsteller recherchierten akribisch die damaligen Lebensumstände und schufen so ein für den Leser nachvollziehbares Bild von Mailand und Norditalien Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Leser fühlt sich von Giorgio mitgenommen, fühlt und leidet dank der starken Erzählweise der Autoren schon von Beginn an mit Giorgio. Nicht nur die jugendlichen Leser erfahren viel über Freundschaft, Sehnsucht, Heimweh und Verrat – kein Wunder, dass das Buch zum Welterfolg wurde und mit u. a. Moritz Bleibtreu verfilmt wurde. Ein Buch, das in vielerlei Hinsicht wertvoll ist und sehr gut als Klassenlektüre geeignet ist.

Johannes Hochdorf

Bibliographie

Lisa Tetzner, Kurt Kläber
Die Schwarzen Brüder
Erlebnisse und Abenteuer eines kleinen Tessiners
Fischer Sauerländer
Ab 12 Jahren
Gebunden 496 Seiten
19,95€ [D] 20,60 € [A] ISBN 978-3-3737-6272-6

Die Autorin

Lisa Tetzner geboren 1894 in Zittau, gestorben 1963 in Carona, war Kinderbuchautorin und Märchenerzählerin. 1933 floh sie zusammen mit ihrem Mann Kurt Kläber vor den Nationalsozialisten in die Schweiz. 1948 erwarb sie die schweizer Staatsangehörigkeit.