Das härteste Gefängnis Irlands und ein spektakulärer Raubüberfall

true crimeIrland, 30. Januar 1972. In der Stadt Derry schießen britische Soldaten rücksichtslos 13 unbewaffnete Demonstranten nieder, die für die Bürgerrechte der Katholiken demonstrieren. 13 weitere sind verwundet. Der Konflikt zwischen Protestanten und Katholiken tritt in seine gewalttätigste Phase ein. Der jugendliche Sam Miller muss die Bluttat der Briten mit ansehen und fasst einen Entschluss: Er wird sich wehren! In „True Crime“ erzählt der Krimiautor seinen ganz privaten Thriller.

Millar wird als Sohn eines Protestanten und einer Katholikin geboren und wächst in einem ärmlichen Viertel von Belfast auf. Durch das Miterleben des „Bloody Sunday“ erwacht seine politische Überzeugung, sein Wille zum radikalen Widerstand. Zweimal landet er so, ohne ordentliche Gerichtsverhandlung, im Gefängnis. Als die Regierung den IRA-Mitgliedern den Status politischer Gefangener aberkennt, schließt sich Millar einer Protestbewegung der Häftlinge an. Er weigert sich Gefängnisuniform zu tragen oder Arbeitsdienst zu leisten. Sehr detailliert schildert Millar die brutale Gewalt, mit der die Wachleute im Hochsicherheitsgefängnis „Long Kesh“ auf den Streik reagieren. Körperliche Züchtigungen und perfide psychische Folter halten die Gefangenen jahrelang in einem Zustand zwischen Leben und Tod und am Rande des Wahnsinns. Die grauenvollen Misshandlungen, lassen den Atem stocken und an der Menschheit zweifeln.

Als Millar schließlich freikommt, flieht er nach Amerika. In New York verdingt er sich zunächst einige Jahre als Croupier und Finanzverwalter in illegalen Spielcasinos. Als ein befreundeter Wachangestellter ihn durch das Depot des Werttransportunternehmens „Brink’s“ führt, packt ihn die Geldgier und er wittert seine Chance. Nach dem spektakulären Raubüberfall sind Polizei und Geheimdienst ihm und seinen Komplizen aber schnell auf den Fersen. Sie fassen ihn. Sein Leben scheint endgültig hinter Gefängnismauern enden zu müssen. Doch ein genialer advokatischer Winkelzug verändert die Situation …

Das Buch teilt sich in zwei sehr unterschiedliche Abschnitte. Die erste Hälfte schildert den Wahnsinn des Bürgerkriegs und die Qualen der Inhaftierten und ist erfüllt von nervenzehrendem Schrecken. Daran schließt sich in der U.S.-Episode, eine, durch den Kontrast fast entspannte Gaunergeschichte an. Das Katz-und-Maus-Spiel mit dem FBI, das sich auch im Gerichtssaal fortsetzt, gestaltet die Lektüre aber bis zum Schluss höchst spannend.

Schade ist, dass Millar sehr wenig von sich preisgibt. Seine Motivation als junger Terrorist bleibt völlig dunkel. Die Gefühle, die ihn antreiben, teilt er nicht mit dem Leser. Von politischem oder religiösem Eifer ist nichts zu spüren und so drängt sich die Frage auf, ob vielleicht allein der allgemeine Lebensfrust, durch Armut und Perspektivlosigkeit ihn zum Kämpfer werden ließ. Erst in der brutalen Haft, spürt man den unbändigen Trotz und den Versuch der Häftlinge sich zu Helden zu stilisieren. Nicht so sehr zu Helden einer Bewegung. Aus pubertärem Übermut und Verzweiflung entwerfen sie ihr Selbstbild als „wirklich harte Kerle“.

Die Informationen über die Verhältnisse in Long Kesh sind höchst interessant. Die extreme Drastik der Bilder ist angebracht. Es ist wichtig auf derartige Unmenschlichkeiten ausreichend deutlich hinzuweisen. Dass Millar sich nicht in die Karten blicken lässt und nur seine beiden „Heldentaten“, das Durchhalten in der Haft und das glimpfliche Davonkommen mit einem der größten Raubüberfälle der Geschichte, schildert, ist ein wenig schade. Es schmälert aber nicht die Spannung und den Informationsgehalt dieses Buches, das in erweiterter Ausgabe und erstmals in der sehr gelungenen Übersetzung von Joachim Körber im Atrium Verlag erschienen ist. Für Erwachsene, die sich mit dem ernsten Thema des Nordirlandkonflikts befassen möchten oder einfach nach nervenaufreibender Spannung suchen, klar zu empfehlen.

(Tobias Schudok)

Über den Autor

Sam Millar, 1955 in Belfast geboren, verbrachte rund zehn Jahre als IRA-Aktivist in irischen Gefängnissen, den größten Teil davon im Hochsicherheitsgefängnis Long Kesh, wo er sich den streikenden „Blanket Men“ anschloss. 1984 wanderte er illegal in die USA aus. 1993 beging er mit Komplizen den fünftgrößten Raubüberfall in der Geschichte der USA.

Heute ist Millar als Autor der Kriminalromane um den Privatdetektiv Karl Kane bekannt, der an die Detektivfiguren Hammets und Chandlers erinnert.

Bibliographie

True Crimetrue crime
Atrium Verlag

Hardcover, 416 Seiten
19,99 € [D] / 20,60 [A]

ISBN: 978-3-85535-513-6