(K)EIN ALLTÄGLICHER ARBEITSPLATZ

cover_verknackt-vergittert-vergessenEin Leben hinter Gittern – wie viele romantische und fürchterliche Assoziationen diese Worte doch hervorrufen. Film und Fernsehen transportieren über die Jahrzehnte ein stets wechselndes, aber gleichbleibend dramatisches Bild. Muskelbepackte Schwerkriminelle, die Gangs bilden, gut vernetzte Geschäftsleute des Verbrechens, die im Knast mit Drogen dealen, Mafiabosse, die ihre Pläne vom Gefängnis aus weiterverfolgen …

In all dem steckt ein Körnchen Wahrheit, doch so grell und aufregend, wie es Hollywood darstellt, ist der Gefängnisalltag dann auch wieder nicht. Rainer Dabrowski weiß wovon er spricht. 23 Jahre lang war er evangelischer Pfarrer in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Tegel.

„Verknackt, vergittert, vergessen“ ist kein reißerisches Buch. Ja – es gibt Drogenhandel und -konsum im Gefängnis. Ja – es gibt harte Burschen und gewiefte Betrüger, die mit allen Mitteln versuchen, das Gefängnispersonal hinters Licht zu führen. Dabrowski kennt zahlreiche Anekdoten darüber, wie verrückt die Arbeit als Seelsorger in einem Gefängnis sein kann. Aber es ist auch eine Arbeit, die in mancherlei Hinsicht wie jede andere ist: Es gibt mehr oder weniger kompetente Kollegen, bürokratische Verpflichtungen, die den wirklich wichtigen Aufgaben im Wege stehen, Vorgesetzte, die von der praktischen

Arbeit vor Ort nur vage Vorstellungen haben. Und mittendrin steht er – Dabrowski, der einst als Soldat an der Grenze zur BRD stand, über den dicke Stasi-Akten angelegt wurden, bloß, weil er sein christliches und humanistisches Gewissen entdeckte, und der auch nach seiner Flucht und der langjährigen Arbeit in der JVA noch unangepasst genug ist, zu sagen, was ihm an seiner Umgebung nicht gefällt.

„Verknackt, vergittert, vergessen“ liest sich leicht und flüssig, auch wenn das Lektorat bei der ein oder anderen Formulierung noch genauer hätte hinsehen können. Zu erfahren, wie ein Gefängnispfarrer arbeitet, wie der Alltag von Häftlingen

aussieht und welch skurrile Situationen sich für einen Priester im Knast ergeben können, erweitert den Horizont und hilft Vorurteile abzubauen. Einige der Überlegungen Dabrowskis zum Umgang unserer Gesellschaft mit Verbrechern und Häftlingen können für jeden, in Deutschland Lebenden ein wichtiger Denkanstoß sein.

Auf der anderen Seite sind viele Meinungsäußerungen Dabrowskis und auch die zahlreichen biographischen Einschübe nicht für jeden interessant. An manchen Stellen wendet er sich direkt beratend an angehende Geistliche, kritisch an die Verwaltung der evangelischen Kirche oder mahnend an potenzielle zukünftige Häftlinge. All das, gepaart mit dem durchgehend recht ernsthaften Tonfall, macht das Buch weniger zugänglich für ein breites Publikum, was schade ist.

Das Werk ist dennoch recht kurzweilig und sehr informativ, hätten sich Autor und Verlag klarer auf eine Zielgruppe festgelegt, hätte es dadurch aber sicher noch gewonnen. (Tobias Schudok)

Bibliographie

RAINER DABROWSKI

BUCHTITEL:
VERKNACKT VERGITTERT VERGESSEN
GÜTERSLOHER VERLAGSHAUS GEBUNDEN
222 SEITEN
ISBN: 978-3-579-07058-2.

Über den Autor

Rainer Dabrowski: geboren 1953, evangelischer Pfarrer, zunächst in Glienicke am Scharmützelsee, dann in Berlin. Gefängnispfarrer von 1990 bis 2014, zusätzlich seit 2007 Landespfarrer für Seelsorge in Justizvollzugsanstalten für den Bereich der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Dabrowski lebt mit seiner Frau in Berlin.