Bachtyar Ali: Das Lächeln des Diktators

Bachtyar Ali nimmt uns mit diesem kleinen schmalen Essay-Band mit auf eine Reise durch sein ureigenstes Universum: als Kurde geboren und aufgewachsen im Irak, in einer muslimisch durchtränkten Gesellschaft, zweisprachig.

Und er enthüllt der Leserin und dem Leser nicht nur ein Thema, sondern er wickelt es aus, er entfaltet es (Willemsen). Kenntnisreich als Seismograph seiner Welt, bringt er uns viele, oft unbekannte Facetten näher.

In Das Lächeln des Diktators

Leuchtet er die Persönlichkeit Saddam Husseins, eines Diktators par excellence, aus. Der präsentierte sich als Bühnenfigur, demonstrierte in Selbstinszenierungen seine Macht. Der Satz Ludwig des IIV „ L’etat c’est moi“ passt wie maßgeschneidert auf diesen Mann und sein Herrschaftssystem. Das Lachen bei seiner Hinrichtung war kein Zeichen von Tapferkeit, Furchtlosigkeit oder Todesverachtung, sondern eine seiner Inszenierungen: Das Lächeln des Mächtigen. Das Lächeln des Ge-Mächtigen. Die 43 lächelnden Gesichtsmuskeln mit passenden makellosen Zähnen sind eine moderne Währung.. Er wäre ein perfekter Instagrammer geworden.

In Gott, der Staat und die Technik

wird die Moderne als Erobererin beschrieben, Maschinen, die in die Dörfer und Städte des Orients einrollten, sie überrollten. Die Franzosen und Engländer zerstörten mit ihren technischen Monstern ganze Regionen. Für den Orient waren die Produkte der Technik etwas Wesensfremdes. Man hatte keinen Gegenentwurf zum wissenschaftlichen Fortschritt, keine Erneuerung der Weltbilder, sondern blieb im Status quo. Dan Diner nennt es in seinem Buch über den Islam die „Versiegelte Zeit“. Schon Al Afghani (1838 bis 1897) fragte, warum der Orient so rückschrittlich sei: „Wie kann es sein, dass Muslime, die Gott am Nächsten stehen, derart schwach und unterjocht sind?“ Homo faber und Homo consumens waren die neuen Götter des Westens, sie läuteten die Veränderung der Gesellschaft ein, im Orient ruhte man sich auf den hochzeitlichen Diwanen der arabischen wissenschaftlichen Kultur aus und es kam lediglich zu Machtverschiebungen. Es gab politische und gesellschaftliche Veränderungen, aber das Herz der Mentalitäten klopfte im alten, vorgegebenen Rhythmus.

In der Blütezeit des Osmanischen Reiches existierte eine Ausgewogenheit zwischen Zentralregierung und den Peripherien. Nach dem Zusammenbruch zerbrach das Gleichgewicht und jede Ethnie und jede Glaubensrichtung erhob Ansprüche auf einen eigenen Staat. Die von den Europäern eingesetzten Stellvertreter waren bewusst so gewählt, dass die verschiedenen Fraktionen keine Macht erlangen konnten. Der Staat wurde zum Schrittmacher der Geschwindigkeit, die Gesellschaft jedoch trabte im Rhythmus der alten Zeit durch das Leben.

Auch in Die Rückkehr des Erlösers

zeigt sich der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches als Zäsur. Die Bewegung der Säkularisierung war noch zu schwach, um auf Gott zu verzichten. Es gab noch kein Surrogat. Religion bot eine einfache Erklärung für das Dasein und die Welt, das geistige Leben war umbrüchig. Im 20. Jahrhundert kehrten die Assassinen in modernem Gewand als die Bewaffneten Gottes zurück, unterstützt vom Westen – Araber und Israel, Afghanistan und die Sowjets.
Für den Orient war alles, was geschah, Gottes Wille. Gott war aktiv, der Mensch passiv. Der orientalische Mensch sah im Stärksten das Abbild Gottes. Nietzsches Übermensch materialisierte sich in Diktatoren wie Atatürk, dem Schah, Saddam. Früher war die Religion ein spirituelles Bedürfnis mit einer persönlichen Beziehung zum Allmächtigen, ein Schutzschild gegen den Staat. Nun gab es nur Ängste und das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit.
Die moderne Büchse der Pandora ließ die Städte wuchern, die Dörfer wurden durch die Landflucht zu stagnierenden Orten ohne Schulen oder Spitäler. Die Bauern hatten den Bezug zu einem Leben im natürlichen Rhythmus verloren, aber sie zogen es vor, in den Städten als Bürger 2. Klasse zu vegetieren. Aber dieser Bruch zwischen Mensch und Natur, das Gefühl der inneren Leere und eines verlorenen Lebens war die Triebkraft für den politischen Islam.

In Im Spiegel der Selbsterkenntnis

Mit Canetti „Komödie der Eitelkeiten“ bringt er ein spiegelloses Leben, eine spiegellose Gesell- schaft aufs Tapet. Wer sich nicht selbst betrachten kann, hat kein wahres Bild von sich. Im Orient sähe man nur Trugbilder und so sei die Selbstreflexion und das Erkennen des eigenen Ichs schwach entwickelt. Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches brachte das Scheitern mit sich und das Erkennen des eigene Scheiterns bedeutete Ängste und Hoffnungslosigkeit. Said beschreibt in seinem Buch „Orientalismus“ das vom Westen geschaffene Trugbild, verschweigt aber die selbst geschaffenen Trugbilder. Ein Spiegel zeigt das wahre Gesicht. Er ist kein Fernglas für die Weite, sondern ein Brennglas für die eigene Nähe.
In Der Kriminalroman und das große Verbrechen
zeigt Ali auf, dass In der orientalischen Literatur Krieg und Gewalt keine Fremdwörter sind, aber das individuelle Morden eines Krimis ein unbekanntes Element. Töten ist ein Mittel der Macht, der Politik, des Kollektivs, kein Einzelwerk. Kriege, Attentate, Hinrichtungen sind alltäglich, der Staat mit seiner Willkürjustiz kein Beschützer. Schaustellung von Macht und Männlichkeit. Der Verlust der Macht, der Verlust des Mannseins bedeutet phallus-los zu sein. Freud erkannte die männliche Angst vor Kastration und Theweleit beschrieb in seinen „Männerphantasien“ die männlichen Körperpanzer.
Im Orient ist jeder Krieg ein Ausdruck von Männlichkeit, Ehre und Bewahrung derselben. Dort braucht man keine individuell zelebrierten Morde.

In Warum ich auf Kurdisch schreibe

lernen wir etwas über Sprache, Bachtyar Alis Sprache, das Sorani – Kurdisch mit den Zweigen Sorani, Kurmanschi und Zazaki wurde von allen Machthabern der Länder Türkei, Irak, Iran und Syrien verboten und so war es für den Autor ein nachvollziehbares Gefühl, dass seine Sprache physisch und psychisch ein Teil von ihm sei. Mit der Sprache und durch die Sprache erfassen wir die Welt: sie macht uns zu einem sozialen Geschöpf und gibt uns Heimat. Sie ruht tief in uns, verbunden mit unseren Träumen, Wünschen und Ängsten. Die Sprache ist unsere ganz persönliche Schatztruhe, sie birgt Farben, Gerüche und Geschmäcker. Heidegger hat die Sprache als „Haus des Seins“ beschrieben.
Die Sprachen, die wir später lernen, erfassen wir mit dem Verstand, sie ermöglichen uns neue Horizonte, aber sie sind nicht der Schlüssel zu unserem Inneren. Das Leben in zwei Sprachwelten. Im Dialog und im Monolog: Sprache für die anderen und Sprache für sich selbst.

In Erinnerungen eines Lesers

evoziert Ali sein Elternhaus, in dem es viele, auch verbotene Bücher gab, die in einem eigens konstruierten Versteck im Sofa Schutz fanden. Seine Liebe zu Büchern entstand, als er entdeckte, dass das geschriebene und das gesprochene Wort des Alltags nicht deckungsgleich waren.
Bücherverbrennungen gab es zu allen Zeiten, er selbst gehorchte dem Befehl der verängstigten Großmutter und verbrannte die Bücher des Vaters.
Nach einer Verhaftung floh Ali nach Teheran: dort gab es Bücher in Hülle und Fülle, er lernte Farsi und zog mittellos von Buchhandlung zu Buchhandlung, las ein Kapitel hier, ein Kapitel dort, Tag für Tag.
Nach einer Zeit im Flüchtlingslager kehrte er zurück. Lebte dort acht Monate in einem abgelegenen Bergdorf und schrieb mangels eigener Bücher seinen ersten Roman.
Später schmuggelte er Bücher von Hegel, Popper, Wittgenstein, Böll u.a. Rührend seine Ansprache an den tierischen Transporteur: „Liebes Muli, ich vertraue dir mein Leben und das Überleben dieser Bücher an. Die einen wichtigen Teil der menschlichen Zivilisation beherbergen. Weil ich glaube, dass du diese Aufgabe besser erfüllen kannst als die Menschen.
Für seine Buchgefährten musste ein neues Versteck gefunden werden. Bei Wehab, einem Bücherretter, fanden sie Unterkunft. Der wurde jedoch denunziert und gehängt.
Die autoritären Staaten fürchten den Leser, nicht die Bücher. Den in den Büchern enthaltenen Virus kann man eliminieren, aber nicht die Kranken. „Fahrenheit 451“ von Bradbury ist ein gutes Beispiel für das vom Staat entworfene Feindbild und der willigen Vollstreckung durch seine Beamte.

Als Bachtyar Ali nach Deutschland kam, fragte man ihn am Frankfurter Flughafen, warum er gekommen sei. „Um in Ruhe lesen zu können.“
Bachtyar Alis Essays sind zeitgeschichtliche Preziosen, verbunden mit politischen und gesellschaftlichen Betrachtungen, verflochten mit seinen ganz persönlichen Erfahrungen. Er hat ein tiefes Verständnis für Literatur, für das Lesen und das Schreiben und fühlt sich dabei umhüllt von seiner ureigensten Sprache, seiner ersten Sprache, wie er sie nennt. Er öffnet uns neue Horizonte aus dem Dickicht des Hausgemachten und des Eingemachten. Er bringt Vielfalt in die so häufige Einfalt. Das ist in der Welt des heutigen literarischen und journalistischen Einheitsbreis ein großes Verdienst. Danke.

Almut Scheller-Mahmoud

diktatorBachtyar Ali
Das Lächeln des Diktators
Essays
Aus dem Kurdischen (Sorani) von Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim
€ 19.00, FR 26.00, € [A] 19.60
144 Seiten
ISBN 978-3-293-00588-4