Es ist 13:45 Uhr: in mitten des Bahnhofsviertels zwischen Freudenhaus und Drogenmilieu beginnt an der Frankfurter Karmeliterschule das soziale Bildungsprojekt „Fußball trifft Kultur“ (FTK). Für den neunjährigen Ozan und seine 24 Mitschüler bei FTK dreht sich montags und mittwochs im Klassenzimmer und auf dem Platz alles um Fußball – Fußballvokabeln, Fußballlückentexte, Fußballmemory und natürlich kommt auch das Spiel an sich nicht zu kurz.

Ozan nimmt bereits seit zwei Jahren an „Fußball trifft Kultur“ teil. Seitdem lernt er fleißig mit Lehrerin Barbara Dilk und trainiert bei Eintracht Frankfurt-Jugendtrainer und Sportinternatsleiter Anton Schumacher. Ozan kam in der zweiten Klasse zu FTK, seine Familie hatte sich dafür eingesetzt, dass der Junge gefördert werde, um es später mal einfacher zu haben. Seitdem nimmt Ozan begeistert am Projekt teil und freut sich nicht nur über die sportlichen Fortschritte, die er macht, um später einmal der Ronaldo Frankfurts zu werden. Auch schulisch haben ihm die Lernspiele und die zusätzliche Unterstützung in Rechtschreibung und Grammatik schon weitergeholfen.

Eintracht Frankfurt-Profispieler und FTK-Projektpate Stefan Aigner besucht die Kinder gelegentlich im Training.

Eintracht Frankfurt-Profispieler und FTK-Projektpate Stefan Aigner besucht die Kinder gelegentlich im Training.

Ozan startet an diesem Tag mit Training in den Nachmittag. Schon Minuten vor dem Anpfiff wuselt und tobt er mit seinen Mitschülern durch die Halle. Einige von ihnen sind nur teilweise mit Sportbekleidung ausgestattet, die Eltern haben nicht daran gedacht oder es gibt gar keine entsprechende Kleidung für das Training. Den Kindern ist es egal, Ball an den Fuß und los geht’s – zur Not auch ohne Schuhe! Trainer Anton Schumacher bringt ihnen die Regeln des Spiels näher, übt kleine Spielzüge mit den Kindern und bringt ihnen den einen oder anderen Trick mit dem Ball bei. Es gehe aber nicht darum, aus den Kindern die Fußballprofis von morgen zu machen. Sie sollen Verständnis für einander entwickeln, sie sollen lernen, dass es nur mit einander geht und vor allem Spaß an der Sache haben. „Fußball ist ein super Medium. Auf den Ball können sich alle einigen, selbst wenn sie sich sprachlich sonst kaum verständigen können. Aber sobald der Ball rollt, ist das eine Sprache, die alle verstehen“, erklärt Anton Schumacher und pfeift das Training an, die Stunde beginnt.

In der Zwischenzeit sitzt ein Teil der Gruppe drei Stockwerke weiter oben bei Lehrerin Barbara Dilk. Es ist Köpfchen gefragt, um den Tücken der deutschen Sprache auf die Schliche zu kommen. Auch im Unterricht greift die Lehrerin das Thema Fußball auf – von Laufdiktaten über Lückentexte und Grammatikübungen, überall lässt sich die beliebte Sportart einbinden. Das wirke besonders motivierend. Fußball gebe auch hier den entsprechenden Anreiz, sich mit Aufgaben zu befassen, um die die Kinder im Regelunterricht gerne einen Bogen machen würden, bei FTK aber mit Begeisterung meistern, sagt Barbara Dilk. „Es ist schon eine sehr reizvolle Sache für die Kinder. Irgendwann entwickelt sich über den Spaß am Fußball auch der Spaß an der Sprache“, weiß die Lehrerin zu berichten. „Es liegt an der Mischung. Die Kinder merken schnell, dass ziemlich viel Kommunikation auf dem Platz nötig ist, genauso wie es nicht ausgeschlossen ist, sich im Deutschunterricht zu bewegen.“ Für Ozan ist es auch gerade diese Kombination, die mittlerweile Deutsch für ihn neben Sport zu einem Lieblingsfach gemacht hat.

„Fußball trifft Kultur“ richtet sich an Kinder aus bildungsfernen Familien, aus Haushalten mit niedrigem sozioökonomischem Status oder auch einfach an Kinder, die zusätzliche Unterstützung etwa im Erlernen der deutschen Sprache benötigen. Auch die Förderung sozialer Kompetenzen und die Stärkung der Lernmotivation allgemein sind Bestandteil des Projektes. Zweimal wöchentlich kommen die ausgewählten Kinder zusammen, erhalten je zwei Stunden Förderunterricht, der sich stark an den Bedürfnissen der Kinder orientiert, und nehmen am Fußballtraining, das von einem Jugendtrainer des ortsansässigen Bundesligaclubs durchgeführt wird, teil. Allzu oft findet aber im „Training“ kein eigentliches Fußballtraining statt, wie Anton Schumacher zu berichten weiß. Häufig gehe es zunächst darum, den Kindern ein Gefühl für Bewegung, für ihren eigenen Körper zu vermitteln – und so sind zahlreiche Übungen eher koordinativer Art. Die positiven Erfahrungen nehmen sie mit in den Förderunterricht und verbessern so spielerisch ihre Sprachfähigkeit und festigen ihre Motivation zum Lernen.

Man habe eine Idee gehabt, aber natürlich nicht abschätzen können, wie diese bei den Schulen ankomme oder von den Kindern aufgenommen werde, berichtet Karin Plötz, Direktorin der LitCam (Frankfurt Book Fair Literacy Campaign), die FTK organisiert. Es sollte darum gehen, den Kindern einen erfolgreichen Übergang in die weiterführenden Schulen zu ermöglichen. „Wir freuen uns über den großen Zuspruch, den wir von allen Seiten bekommen. Vor allem die positiven Rückmeldung von den Lehrern und den Schulen zeigen uns, dass wir mit ,Fußball trifft Kultur‘ einen wichtigen Beitrag zur Förderung gerade der Kinder leisten, die sonst eher durch das System fallen würden“, erklärt Karin Plötz ihr Engagement für das Projekt.

Einmal im Jahr treffen sich alle „Fußball trifft Kultur“-Gruppen, um in einem gemeinsamen Abschlussturnier gegeneinander anzutreten.

Einmal im Jahr treffen sich alle „Fußball trifft Kultur“-Gruppen, um in einem gemeinsamen Abschlussturnier gegeneinander anzutreten.

„Fußball trifft Kultur“ gibt es bereits seit 2007. Das Projekt wurde von der LitCam in Frankfurt an der Karmeliterschule ins Leben gerufen und seitdem kontinuierlich ausgebaut und erweitert – aktuell gehören 18 Gruppen an neun Standorten zur FTK-Familie. Seit 2012 steht die Bundesliga-Stiftung dem Projekt als bundesweiter Partner zur Seite. In Fragen der digitalen Kompetenz wird nun auch Samsung unterstützend bei FTK einsteigen. Damit auch die Kultur nicht zu kurz kommt, finden regelmäßig Ausflüge in Museen, Autorenlesungen oder etwa Rap-Poetry-Workshops statt.

 

Ozan geht noch bis zum Ende des Schuljahres weiterhin zweimal die Woche zu FTK, vielleicht schafft er sogar den Sprung aufs Gymnasium – und wenn es dann noch mit der Karriere als Profifußballer klappt… Aber falls nicht, hat Ozan auch schon eine Alternative ins Auge gefasst: Dann wird er Musiker!