Klaus-Peter Wolf über seine Romane und den Literaturbetrieb

Er ist einer der erfolgreichsten Autoren im deutschsprachigen Raum. Seit einigen Jahren stehen seine Ostfriesenkrimis regelmäßig viele Wochen lang auf dem ersten Platz der Bestsellerlisten. Wir haben mit Klaus-Peter Wolf über sein Leben als Autor, den Wandel im Buchmarkt und neue Chancen gesprochen – und ganz viel erfahren.

Pressefoto1 KP Wolf Foto von Monika Schillinger

Klaus-Peter Wolf, geboren am 12.01.1954, lebt als freier Schriftsteller und Drehbuchautor in Norden (Ostfriesland). Seine Fernsehfilme wurden oft zu Einschaltquotenhits und erhielten nationale und internationale Preise, z.B. den Rocky Award for best made TV-movies (Kanada) und den Erich-Kästner-Preis (Berlin-Babelsberg) für sein Drehbuch zum Fernsehfilm „Svens Geheimnis“.

Klaus-Peter Wolf gilt als leidenschaftlicher Geschichtenerzähler. Seine Bücher wurden in 26 Sprachen übersetzt und über neun Millionen Mal verkauft. So ist seine Ostfrieslandkrimireihe um die Kommissarin Ann Kathrin Klaasen ist längst Kult geworden und das ZDF bereitet gerade die Verfilmung vor.

Seine Romane liest er selbst als Hörbücher für den Goyalit-Verlag ein.

Weitere Informationen unter: www.klauspeterwolf.de.

 

Seit vielen Jahrzehnten schreibst du Bücher. Seit einigen Jahren zählst Du hierzulande zu den erfolgreichsten Bestsellerautoren. Eben hast Du die Arbeiten an Deinem neuen Krimi „Ostfriesenwut“ beendet, der im Februar erscheint – vermutlich auch wieder ein Bestseller. Hast du Dich mittlerweile an den Erfolg gewöhnt?

Im Nachhinein betrachtet war es ein bisschen, als würde plötzlich die Welt um mich herum explodieren. Ich habe das erst mal gar nicht als Erfolg wahrgenommen, sondern als Überforderung. Plötzlich hatte ich täglich zwischen 150 – in Spitzenzeiten auch 250 – E-Mails, die kann ich natürlich nicht alle beantworten, nicht mal lesen. Und da drin sind ja auch ganz viele wichtige Sachen. Auch tolle, berührende Dinge von Lesern, Veranstaltern, die mich zu sich einladen usw. Dazu kommen all die Autoren, die mir jetzt ihre Manuskripte schicken, in der Hoffnung, dass ich daraus Bestseller mache oder dafür sorgen kann, dass sie gedruckt werden … Auch darunter einige wunderbare Texte, für die ich gerne mehr tun würde.
Aber gleichzeitig damit, dass meine Bücher plötzlich die Bestsellerlisten von SPIEGEL und STERN bevölkern, hat ja mein Tag nicht 48 Stunden bekommen, sondern ich bin noch der gleiche Klaus-Peter Wolf, der um jeden Satz ringt und die meiste Zeit des Tages gar nicht wirklich alltagstauglich durchs Leben läuft, sondern ganz in den Figuren seiner Bücher ist und aus deren Sicht die Welt sieht. So muss ich aufpassen, dass der Erfolg mich nicht auffrisst. Das ist ein täglicher Kampf.

 

Was bedeutet der Erfolg für Dich?

Er macht mich natürlich völlig unabhängig. Der Erfolg macht aus mir erst den wirklich freien Schriftsteller. Gleichzeitig ist er eine große Verpflichtung. Ich stehe jetzt vor einer neuen Lesereise, jeden Abend in einer anderen Stadt. Ich liebe es, meinem Publikum aus den Büchern vorzulesen. Schließlich lese ich ja auch die Hörbücher alle selbst ein.
Aber so schön es ist, darf man nicht vergessen, dass es auch anstrengend ist. Im letzten Jahr habe ich 271 Nächte in Hotels geschlafen, dabei habe ich so ein schönes Zuhause in Ostfriesland. Und wenn ich in Dortmund vorlese, sagen die Fans aus Darmstadt: Warum kommst du nicht zu uns? Und wenn ich in Peine bin, fragen sich die Hannoveraner: Warum nicht hier?
So wird man nie allen gerecht. Aber ich liebe, was ich tue und die vielen Fans geben mir die Möglichkeit, dies ausführlich und voller Leidenschaft zu machen, ohne dass ich einem anderen Brotberuf nachgehen muss. Das ist doch herrlich, oder?

 

Das hört sich so an. Du hast in Deinem Leben schon viel unternommen. Aber kannst du Dir nach so vielen Jahren als Autor noch etwas anderes vorstellen?

Oje, ich glaube, in jedem anderen Beruf wäre ich schrecklich gescheitert. Als meine Bücher noch wie Steine in den Regalen lagen und kein Mensch sie kaufen wollte, sagte ein Freund zu mir: Bei meinem Talent, Lügengeschichten zu erfinden, könnte ich vielleicht in die Versicherungsbranche einsteigen. Das war allerdings wohl nicht ganz ernst gemeint und ich habe es auch nie versucht.
In jungen Jahren wurde ich mal Leiter eines Verlages. Ich bin grauenhaft gescheitert und mit 2,7 Millionen pleite gegangen. Jahre meines Lebens hatte ich Schulden und wurde von Gläubigern verfolgt – (lacht) Inzwischen ist alles erledigt. Niemand hat mehr Forderungen an mich. Ich bin wohl das geworden, was man eine Stütze der Gesellschaft nennt. Wenn ich auf meine Steuererklärung gucke, eine ziemlich stabile Stütze.

Immer wieder probiere ich andere Berufe aus, um darüber schreiben zu können. Das Leben ist für mich immer nur ein Steinbruch für meine Bücher.
Neulich habe ich zum Beispiel im Restaurant Smutje einen Tag als Küchenhilfe gearbeitet, um mich mit dieser Art Job vertraut zu machen und zu gucken, wie es in einer Küche losgeht, wenn es hektisch wird und plötzlich ein Dutzend Gäste zwölf verschiedene Gerichte bestellt, die aber gleichzeitig an den Tisch haben will …
Diese Art der Arbeit – in Rollen hineinzuschlüpfen – hilft mir beim Schreiben sehr. Da ich ein neugieriger Mensch bin, liebe ich es, so etwas zu tun.

 

Das ist spannend. Ebenso spannend geht es im Buchmarkt zu. Der befindet sich in einem absoluten Umbruch. Autoren, Verlage und Buchhändler klagen gleichermaßen. Was beobachtest Du da?

Einige Kollegen sind verzweifelt. Viele wütend. Verlage antworten ihnen nicht mal mehr, wenn sie ihnen ein Manuskript anbieten. Einige Verlagshäuser haben das sogar auf ihren Homepages. Dort steht genau, wie man ein Manuskript einzureichen hat und dass, wenn man keine Antwort bekommt, das Manuskript abgelehnt sei. Kommunikation durch Nicht-Kommunikation.
Die Zahl derer, die sich mit und in ihrem Beruf wohlfühlen, schwindet. Manch einer denkt, wenn auch heimlich, über Alternativen nach. Vielleicht gibt es ja doch noch eine Chance, irgendwo eine feste Stelle zu ergattern, in einem Buchverlag, einem Sender oder bei einer Volkshochschule.
Nicht jeder kann so einfach in seinen alten Beruf zurück und in einer Branche, die sich sehr über Erfolg definiert, ist es schwer, Überlebensstrategien offen zu besprechen.

Eine Welle disruptiver Innovationen erschüttert den Buchmarkt und verändert auf angsteinflößende Weise das Berufsbild von Verlegern, Buchhändlern und Autoren. Die einen versuchen, die neue Situation zu ignorieren, andere ziehen sich verletzt zurück. Gleichzeitig beginnen Verteilungskämpfe von bisher unbekanntem Ausmaß.

 

Wie sieht es mit den Selfpublishing-Plattformen aus? Erdrückt hier nicht Masse einen von Verlagen geprägten Qualitätsmarkt?

Zunächst beharrten die Verlagshäuser darauf, Selfpublishing sei nur für die Schlechten und die Versager da. Edle Verlagshäuser seien deshalb umso wichtiger, weil ein Verlagsname jetzt ein Auswahlkriterium sein könnte. Was ich besonders ironisch fand, weil ich die Programme verschiedener Verlagshäuser nur noch schwer voneinander unterscheiden kann. Trotzdem, die Häuser beharrten darauf, Marken zu sein, auf deren Auswahl sich die Leser verlassen können.
Selbst große, renommierte Häuser haben diese Position längst wieder geräumt und richten selbst unter ihrem Label eben solche Portale für Autoren ein, die sich selbst publizieren, selbst vermarkten wollen.
Hier treten die Verlage als Dienstleister auf. Die Autoren können sich dann etwas dazu buchen, indem sie einen kleinen Teil von ihrem Erlös abgeben, also sich zum Beispiel ein Lektorat hinzuholen oder eine gute Gestaltung fürs Cover.
Das dürfen wir aber auf keinen Fall mit den im Grunde betrügerischen Verlagshäusern, die nur Zuschüsse von Autoren wollen und mit Autoreneitelkeit oder auch –verzweiflung ihr Geld verdienen verwechseln. Nein, hier geht es um etwas ganz anderes. Hier geht es um wirklich neue Geschäftsmodelle.
Man kann darüber den Kopf schütteln, all dies bedauern und sich angewidert abwenden. Aber dort entstehen auch ganz neue Chancen: Diskutierten wir gerade noch mit unseren Verlegern Autorenhonorare zwischen vier und zehn Prozent, je nach Haus, reden wir jetzt über siebzig bis achtzig Prozent, die beim Autor bleiben.
Längst nicht mehr alle Autoren, die diesen Weg gehen, tun es, weil sie in der Verlagsbranche keine Heimat mehr für sich und ihre Bücher gefunden haben. Einige brechen auch aus ihren Verträgen aus, um schlicht und einfach ein Vielfaches an Geld zu verdienen.
Die ersten Geschichten von Autoren, die in kurzer Zeit zu Millionären wurden, geistern durchs Netz und sie sind nicht alle nur PR-Lügen der entsprechenden Anbieter, sondern an einigen Geschichten ist viel Wahres dran.

 

Kennst Du jemanden, der so reich geworden ist? Welche Chancen bieten sich den Autoren?

Hugh Howey hat transparente Daten dazu veröffentlicht. In den USA zählt er zu den erfolgreichsten Selfpublishern, in Deutschland ist er inzwischen bei Piper unter Vertrag, in Großbritannien bei Random House.
Auch einige deutsche Autoren haben ihre Zahlen öffentlich gemacht, Matthias Matting gibt an, mehr als 100.000 Euro pro Jahr mit selbst publizierten eBooks zu verdienen.
Hier sei auch Hanni Münzer genannt, deren Roman „Honigtod“ kein Verlagshaus veröffentlichen wollte und die inzwischen nicht nur mehr als 400.000 Downloads als eBook zu verzeichnen, sondern es auch auf die Feuilletonseiten der FAZ geschafft hat. Viele von uns wissen, dass das selbst mit einem renommierten Haus im Hintergrund kein ganz leichter Weg ist.
Auch Jonas Winner sei hier genannt oder Alexander Hartung, der ständig in den Top Ten mit dabei ist.
Einige bisher vollkommen unbekannte Autoren erreichten über ihre eBook-Plattformen die Top Ten. Teilweise wurden die Top Ten monatelang von Selfpublishern dominiert.
Fontane verlegte seine Bücher schon selbst, nannte sich aber noch nicht „Selfpublisher“. Elfriede Jelinek hat nach dem Nobelpreis kein Buch in einem Verlag mehr veröffentlicht, sondern alles nur noch digital auf ihrer Homepage ins Netz gestellt.
Cornelia Funke, unsere berühmte Kollegin, nennt Apps atmende Bücher. Ja, wer hätte das gedacht?

 

Welche Bedeutung haben eBooks für Dich?

Am Anfang habe ich darüber nur gegrinst, denn in meiner ersten Abrechnung hatten sich von „Ostfriesenkiller“ 41 eBooks verkauft. Dies hat sich von Halbjahres- zu Halbjahresabrechnung rasant verändert. Inzwischen machen die eBook-Verkäufe bei mir 15 Prozent aus.

 

Viele Verlage schaffen eigene Plattformen auch international. Bieten sich damit nicht auch völlig neue Möglichkeiten für deutsche Autoren?

Droemer-Knaur hat zuerst so einen Talentschuppen eingerichtet, aber auch viele andere tun es längst. Hier entscheidet nicht mehr das Lektorat. Es gibt auch keinen Programmmacher mehr im eigentlichen Sinne, sondern „Communities“ entscheiden, ob sie etwas wollen oder nicht.
Viel, was dort ins Netz gestellt wird, erreicht nur wenige bis gar keine Leser, aber einige eben über Facebook oder andere soziale Medien sehr viele. Und plötzlich wird dann aus einem unlektorierten eBook, das im Verlag niemand kennt, aber das das Verlagslabel trägt, ein Renner im Haus und natürlich erscheint es dann auch als Druckausgabe und plötzlich ist auch ein Werbeetat da und die Community wird weiter befeuert mit Neuausgaben.

 

Was bedeuten die Communities für den Erfolg eines Buches?

Hier entstehen ganze Fangruppen, im Grunde abgeschottet vom Rest des Buchmarktes. Ob ein Buch irgendwo positiv oder negativ besprochen wird, ob es überhaupt eine Literaturkritik gibt oder nicht, spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle mehr. Viel wichtiger sind ein paar Freunde und Fans, die im Netz weiter posten, wie toll der Roman doch sei. Ohne Facebook – oder andere soziale Medien – läuft da gar nichts mehr.

 

Wenn die Entwicklung so weiter läuft: Wozu brauchen Autoren künftig noch Verlage?

Es kommt hier gerade zu völlig neuen Rollenverteilungen. Der Autor als Bittsteller, der mit seinem Manuskript unterm Arm Klinken putzen geht, gehört wahrscheinlich der Vergangenheit an. In Zukunft hat er einfach viele Möglichkeiten. Da, wo sich zwischen Autor und Verlag Partnerschaften gründen, umso besser.
Ich selbst bin ein echter Verlagsautor, habe in vielen verschiedenen Verlagen meine Bücher gemacht, dabei wunderbare Menschen kennen gelernt und natürlich auch ein paar schreckliche Gestalten. Ich möchte meinen Verlag nicht missen. Ich nutze den Sachverstand Vieler, um meine Bücher zum Erfolg zu bringen. Ich kann nicht gleichzeitig Vertriebsleiter, Marketingchef und dann auch noch mein eigener Lektor sein, der nebenbei eine Presseabteilung unterhält, während ich dann zwischendurch mit meinen Übersetzern verhandle.Da konzentriere ich mich doch lieber auf meine Figuren und mein neues Buch.

 

Du liest nicht nur abends in Buchhandlungen und Bibliotheken vor, sondern sehr viel in Schulen.

Ja, das ist so. Ich gehöre seit 35 Jahren zum Bödecker-Kreis. Der Bödecker-Kreis ist nach dem Krieg in Niedersachsen entstanden, als eine Reaktion auf den Faschismus. Der große Übervater Bödecker sagte damals, es sei wichtig, Autorenbegegnungen zu organisieren, damit Schüler in Kontakt mit Schriftstellern kommen. Davon erhoffte er sich positive Impulse für die gesamte Gesellschaft.

Es gibt heute in allen Bundesländer Bödecker-Kreise, in denen meist ehrenamtlich von Pädagogen oder Bibliothekaren Lesungen an Schulen organisiert werden. Ich glaube, Hans Bödecker und seine Familie – inzwischen ist seine Tochter Insa Bödecker Vorsitzende des Bödecker-Kreises Niedersachsen – haben mehr für die Literaturvermittlung in Deutschland getan als alle Kultusminister nach dem Krieg zusammen. Und – das möchte ich unterstreichen – sie haben das ehrenamtlich gemacht. Hans Bödecker ist leider inzwischen verstorben, er gehörte zu meinen großen Förderern. Ohne ihn wäre aus mir nie der geworden, der ich heute bin.
Noch immer ist es mir eine Ehre, durch die Schule zu ziehen und dort meine Texte zur Diskussion zu stellen. Das erdet einen Autoren und sorgt dafür, dass er bei allen Erfolgen nicht abhebt.