Gewogen und zu leicht befunden

Kerr_kpl_RZ2.inddWachsende Fremdenfeindlichkeit, offener Antisemitismus, Diskriminierung, bekennende Holocaust-Leugner, rechte Gewalt – in Deutschland rumort es. Bildung, Aufklärung und Zivilcourage wären die richtigen Werkzeuge dagegen. Schon vielen Autoren ist es gelungen, mit ihren historischen Romanen ihr Publikum wachzurütteln.
Da kommt Philip Kerrs „Friedrich der große Detektiv“ doch eigentlich ganz recht. Der Verlag nennt „Historischer Roman“ oder „Nationalsozialismus“ als Schlüsselwörter und empfiehlt das Buch ab elf Jahren. Der Ansatz passt: Kinder mit einem spannenden Krimi für einen wichtigen Teil unserer Geschichte zu interessieren, auch um sie für bedrohliche Tendenzen innerhalb unserer Gesellschaft zu sensibilisieren. Weil das Buch optisch wie inhaltlich ganz nah und offen an „Emil und die Detektive“ angelehnt und dessen Autor Erich Kästner selbst Teil des Krimis ist, verspricht Kerr in der Tradition des Meisterwerks viel.

Inhalt

Die Geschichte spielt selbstverständlich in Berlin, Anfang der dreißiger Jahre, zur Zeit der Machtübernahme durch die Nazis. Friedrich Kissel, der mit seinen Eltern und seinem Bruder in Wilmersdorf lebt, ist zu der Zeit etwa elf Jahre alt. Er träumt davon, Detektiv zu werden. Erich Kästner lebt im Nebenhaus. Die Beiden sind befreundet und Friedrich ist ein großer Fan von „Emil und die Detektive“. Der Junge erlebt die Machtergreifung, die Bücherverbrennung und vieles andere. Schließlich geschieht ein Mord und Friedrich muss ganz schnell erwachsen werden.

Keine Hommage an Kästner

Kerrs Buch will eine Hommage an Kästner sein und ein historischer Krimi. Beides scheitert kläglich. Sicher ist das Buch meist spannend geschrieben, die Charaktere sind glaubwürdig, teilweise liebevoll gezeichnet. Die Schwächen liegen in der Geschichte und vor allem in der wohl schlechten Recherche.

Geschichte verzerrt

Denn bis aus der Geschichte wirklich ein Kriminalfall entsteht, dauert es rund 100 Seiten. Bis dahin geht es Kerr sehr offenkundig darum, etwas über den Charakter des Nationalsozialismus zu schreiben. Dabei wirkt es befremdlich, wenn er Horst Wessel nur als „einen jungen Mann … der von den Kommunisten getötet worden war“ beschreibt. Schließlich war Wessel Sturmführer der SA, der mit seiner brutalen Schlägertruppe viele Menschen terrorisierte. Fast ebenso seltsam erscheint eine Textstelle, in der es in Bezug auf den Weggang von Dietrich Bonhoeffer nach London geht. Hier heißt es, dass niemand wusste, „ob er seine Stelle aus Protest gegen die Nazis aufgegeben hatte oder ob er einfach nur Ärger vermeiden wollte“. Erst im Anhang – so dieser gelesen wird – steht, dass Bonhoeffer 1935 zurückkehrte und Widerstand bis zu seiner Ermordung leistete.

Doch eine Hommage – aber an Friedrich von Preußen

Dies alles mag noch auf mangelndes historisches Fingerspitzengefühl zurückzuführen sein. Völlig aus dem Ruder gerät die Geschichte, als Kerr seinen bewunderten Autor Kästner ein Hohelied auf Friedrich den Großen von Preußen anstimmen lässt. „Er war ein begnadeter König. Vielleicht der größte deutsche König, den es je gab, und ein Mann, der Menschen aller Nationalitäten und Glaubensrichtungen dazu ermutigte, nach Preußen zu kommen. Er sprach mehrere Sprachen, spielte viele Musikinstrumente, errang mehrere wichtige militärische Siege, eroberte neue Länder, setzte wichtige Reformen durch und war ein Förderer der Künste …“.

Kästner hat immer vor gefährlichen Größen gewarnt

Warum der Autor Kästner diese Worte in den Mund legt, ist nicht klar. Sicher ist nur, dass er so etwas nicht geäußert hätte. Denn Kästner hat immer gewarnt, solch „gefährliche Größen“ zum Ideal zu erheben. Wer ihn kennt, weiß um seine Abscheu, die er gegenüber dem Preußenkönig hegte. Schon in seiner Doktorarbeit über „Friedrich den Großen und die deutsche Literatur“ versammelte er alle Kritiker gegen den Standpunkt des Monarchen, der die deutsche Sprache als nicht literaturfähig einstufte und diese dringend verändern wollte. In einem Artikel von 1946 für die „Neue Zeitung“ mit dem Titel „Gedanken eines Kinderfreundes“ stellt er zahlreiche der jämmerlichsten Eigenschaften und Taten Friedrichs in den Mittelpunkt und fordert, „dem Geschichtsunterricht die Maske vom Gesicht zu holen“. So erwähnt er etwa, dass Friedrich Geld von den Gegnern seines Vaters nahm, Kriege vom Zaun brach, in der Schlacht seine Soldaten im Stich ließ oder auf sie einprügelte, seine Frau in aller Öffentlichkeit dermaßen brüskierte und kränkte, dass etliche europäische Diplomaten Mitleid für sie empfanden. Er berichtet von dem König, der zur Zeit Lessings, Wielands, Herders und Goethes auf französisch über die deutsche Sprache schrieb, dass diese so hässlich klinge, dass sie unbedingt reformiert werden müsse. „Deshalb schlage er vor, den Tätigkeitswörtern ein a anzuhängen. Statt ‚nehmen’ möge man künftig ,nehmena’ sagen, statt ,geben’ ,gebena’ …. Damit sei schon viel gewonnen.“

Sicher nichts für Kinder

Wer nach solchen Aussagen noch glaubt, dass Kästner den großen Friedrich bewundert habe und sogar noch ein Bild von ihm in seiner Wohnung aufhängte habe, schwört jeglicher Logik ab.
Deshalb ist dieses Buch – vorsichtig ausgedrückt – alles andere als empfehlenswert für Kinder, die zu einem ordentlichen Geschichtsbewusstsein gelangen sollen. Hier findet genau jene Geschichtsverzerrung statt, die Generationen vor uns ins Unglück getrieben hat. Sicher leistete Friedrich der Große einiges zur Aufklärung. Auch für die Kartoffel danken wir ihm sehr herzlich. Andererseits begründete er nach seinem Vater eben jenen preußischen Militarismus, der ein Auslöser für zwei Weltkriege war und in dessen Tradition sich auch die Nazis sahen. Nicht nur Napoleon war ein Bewunderer Friedrichs, Adolf Hitler ebenso. Der als Leumund für den Preußenkönig beizitierte Voltaire kann auch nicht helfen. Sicher war er einige Zeit Freund Friedrichs, viel länger aber auch sein erklärter Feind.

Bärendienst für die Demokratie

Es geht nicht um Kleinigkeiten. Niemand erwartet von einem historischen Roman absolute Exaktheit. Hier verzerrt jemand die Geschichte und leistet damit einen Bärendienst für die Demokratie; besonders für die politischen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen. Aufgrund der Nähe zu Kästners „Emil und die Detektive“, der Bekanntheit Kerrs, der Vertriebsstärke des Verlags und der historischen Unbewusstheit weiter Teile der Bevölkerung, ist sogar eine große Verbreitung des Buches wahrscheinlich.

Peinlich

Was der Pazifist Kästner getan hätte? Vermutlich hätte er dagegen angeschrieben. Nach seinem Tod kann er sich gegen eine solch verunglückte „Hommage“ jedoch nicht mehr wehren. Peinlich!
(Gernot Körner)

Bibliographie:

Philip Kerr
Friedrich der große Detektiv
Aus dem Englischen von Christiane Steen
Rowohlt
Hardcover, 256 Seiten
14,99 €
ISBN: 978-3-644-40209-6

Der Autor

Philip Kerr, geboren 1956 in Edinburgh, ist ein britischer Krimi- und Thriller-Autor. Für seinen Roman Das Wittgensteinprogramm und seinen High-Tech-Thriller Game Over erhielt er den Deutschen Krimi Preis. Für «Die Adlon-Verschwörung» gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award.