Das Hassen klappt von Nahem nicht

Sommer unter schwarzen Flügeln„Als ich ‚Sommer unter schwarzen Flügeln‘ schrieb, hofften wir alle, wenn es erschiene, wären seine Themen Vergangenheit. Doch der IS weitet seine Gebietsansprüche in Syrien aus, Jugendliche aus aller Welt werden als Gotteskrieger angeworben, rechte Hooligans marschieren durch deutsche Großstädte …“, schreibt Peer Martin im November 2014, im Nachwort seines Romans. In vielen Ländern herrscht immer noch Krieg, derzeit überrollt eine Flüchtlingswelle Europa.

Peer Martin, gelernter Sozialarbeiter, erzählt in seinem ersten Roman die Geschichte von Nuri, einem syrischen Mädchen, das mit ihrer Familie vor Krieg und Gewalt in ihrem Land geflohen ist. Die alawitische Familie, ursprünglich auf der Seite der friedlichen Revolution gegen Assad, wurde nicht nur von der Regierung, sondern auch von den Rebellen verfolgt. Jetzt lebt Nuri mit ihrer Familie in einem Asylbewerberheim in einer Kleinstadt an der Ostsee. Calvin, ein rechtsradikaler, perspektivloser Jugendlicher, wohnt nicht weit von ihr entfernt. Bei der Sozialarbeiterin Frau Silbermann begegnen sich die beiden. Nuri rettet Calvin vor dem Absturz von einem baufälligen Balkon. Sie beginnt ihm ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Calvin gerät immer mehr in den Bann der Erzählung. Er fängt an zu begreifen, was wirklich in Syrien geschieht, was Krieg bedeutet, warum so viele Menschen geflohen sind. Er begreift, dass auch Ausländer ein Recht auf ein Leben in Frieden haben. Um Nuri noch besser zu verstehen, lernt er sogar Arabisch. Heimlich trifft er sich mit ihr und verliebt sich. Damit bringt er seine Neonazi-Kumpels gegen sich auf. Sie fordern Beweise, dass er noch einer von ihnen ist. Calvin merkt, dass seine Gefährten, die er zum Teil noch aus dem Sandkasten kennt, keine echten Freunde sind. Er teilt mittlerweile ihre radikalen Ansichten nicht mehr. Als er versucht, aus der Gruppe auszusteigen, richtet sich die Gewalt der Clique gegen ihn.

„ROMEO UND JULIA IM BRENNPUNKTVIERTEL. LIEBE SCHLÄGT BRÜCKEN ZWISCHEN RECHTEM LAGER UND AUSLÄNDERN“, lautet die Schlagzeile in einer Zeitung im Roman. … „Die Menschen brauchen Geschichten über die sie weinen können, um zu fühlen … Am besten ein totes Kind.“ In dem Roman äußert sich Frau Silbermann eher verächtlich über die reißerische Art des Zeitungsartikels. Erst der Blick auf das einzelne Schicksal, lässt die Menschen mitfühlen und dann handeln. Das berührt den Leser mehr, als ein sachlicher Text über tausende tote Flüchtlinge. Peer Martin nutzt dieses Mittel selbst, auf eine einfühlsame Art. Er beschreibt Nuris persönliches Schicksal. So nimmt der Leser Anteil an ihrem Leben. Nuri erzählt Calvin und damit dem Leser ihre ganz persönliche Geschichte. Ihr bleiben einige schöne Erinnerungen an ihre Heimat. Viele ihrer Erinnerungen sind traumatisch, geprägt von Gewalt, Folter, Vergewaltigung, Tod und Leid. Das Buch ist nichts für zarte Gemüter. Es ist traurig, mit vielen schönen und einigen brutalen Szenen. Noch trauriger ist, dass sich solche Geschichten in der Realität jeden Tag abspielen.

Der Autor lässt den Leser in das Innere der Personen blicken. Selbst für Calvin schafft er es Verständnis zu wecken und erklärt, warum dieser in die rechtsradikale Szene geraten ist und wie groß der Druck der Gruppe ist.

Das Buch ist spannend vom ersten Satz bis zum Ende. Die Sprache ist klar und eindrücklich, ohne sich dem jugendlichen Jargon anzubiedern. Der Roman ist schon eher für hartgesottene Jugendliche ab 16 Jahren geeignet, die der Realität ins Auge sehen wollen; die verstehen wollen. Sicher berührt er ebenfalls Erwachsene. Am Ende macht die Geschichte den Leser aber auch wütend über die Ungerechtigkeit und die Brutalität auf dieser Erde. Die Geschichte ist gut, aber traurig und regt dazu an, sich sachlich mit den Themen Krieg, Gewalt und Ausländerfeindlichkeit auseinanderzusetzen.

Es gibt einen eigenen Webauftritt zum Roman, mit Informationen über den Autor, über Syrien, Rechtsextremismus, Asylpolitik sowie Unterrichtsmaterialien als Download und einem Hinweis: . „Die Lektüre dieses Romans und die folgenden Unterrichtsideen bzw. Arbeitsaufträge richten sich an Schülerinnen und Schüler ab 16 bzw. Jahrgangsstufe 10. Aufgrund der im Roman angesprochenen Themen wie beispielsweise Bürgerkrieg und Folter sollte eine Lektüre des Romans durch jüngere gründlich geprüft werden.“

www.unter-schwarzen-fluegeln.com

Anja Lusch

Über den Autor

Peer Anders Martin wurde 1968 in Hannover geboren. Schon als Jugendlicher interessierte er sich neben Basketball, Eckkneipen und Schwarzweißfilmen für das Schreiben, kam allerdings über merkwürdige Kurzgeschichten nie hinaus. Nach einem Sozialpädagogikstudium in Berlin (wo er seine ganz erstaunliche Frau und erste Leserin kennenlernte) arbeitete er mehrere Jahre mit Jugendlichen in Berlin, Brandenburg und Vorpommern, zuletzt auf der Insel Rügen.

Diese Erfahrungen und die Erzählungen eines syrischen Freundes brachten ihn schließlich dazu, seinen ersten Roman niederzuschreiben, der auf seinen vielen langen Spaziergängen an den Stränden der Ostseeküste entstand, wo er seine Geschichte zuerst der geduldigen Hündin Lola erzählte.

Seit kurzem lebt er mit seiner Frau, drei Kindern und Lola in Quebec und konzentriert sich ganz auf seine Geschichten (und natürlich seine Kinder).

Bibliographie

Peer Martin
Sommer unter schwarzen Flügeln

Oetinger
Jugendroman ab 16 Jahren

Hardcover, 528 Seiten
ISBN: 978-3-7891-4297-0