Nuccio Ordine: Von der Nützlichkeit des Unnützen – Warum Philosophie und Literatur lebenswichtig sind

Für Sinn und Freude 

Dass Geld allein nicht glücklich macht, ist eine Binsenweisheit. Dass es uns all zu leicht den Kopf verdreht, aber auch. Dass unsere ganze Gesellschaft sich in ihren Idealen und ihrer Struktur heute der Logik vom maximalen Gewinn an Geld, Macht und Aufmerksamkeit unterordnet, ist beunruhigend. Selbst Gesundheit und Attraktivität werden mittlerweile anhand universeller Skalen gemessen, damit jeder weiß, wo er steht und wie sehr er noch an sich zu arbeiten hat.

Nuccio Ordine wendet sich mit „Von der Nützlichkeit des Unnützen“ an die Politik, an die Gesellschaft, wie auch an jeden einzelnen persönlich. Es ist ein Plädoyer für eine Welt, in der nicht alles und jeder normiert und messbar gemacht und der diktatorischen Prüfung durch das Eichmaß der Gewinnmaximierung unterworfen wird.

In der ersten Hälfte geht Ordine recht behäbig vor. Mit einer großen Zahl an Zitaten etwa von Platon, Shakespeare, Cervantes, aber auch Italo Calvino, Heinrich Heine und Martin Heidegger zeigt er, dass der Streit zwischen Kultur und Kapital so alt ist, wie die Kultur selbst. Durch viele unterschiedliche Formulierungen wird klar, was er unter dem Nutzlosen versteht: Sowohl Geistes- als auch Naturwissenschaft, wenn sie nicht forscht, um ein Ziel zu erreichen, vor allem kein merkantiles, sondern, mit Platon, aus dem fundamentalen Staunen vor der Welt entsteht. Aber auch die Schönheit, als Kunst und Literatur, ebenso wie als Naturbetrachtung. Das Unnütze ist Freude und Genuss. Aber nicht als egoistische Gier und Sucht zu verstehen, sondern als Selbstbetrachtung und als Bewusstmachen des Schönen, Guten, Faszinierenden auch in den kleinen Dingen. Heute sind wir leicht beeindruckt von der hohen Auflösung eines Bildschirms oder einer Kamera. Aber wer staunt noch über das Wunder der Fotografie, die bloße Wirkung von Bildern oder unsere Fähigkeit überhaupt zu sehen? Und sind diese Dinge nicht viel fantastischer, als das neueste Smartphone, das sich nur durch ein paar Zahlendreher im technischen Datenblatt von seinem Vorgänger unterscheidet? Die vielen Zitate sind auch Anregung zum Weiterlesen und zum Klassikerlesen überhaupt. Trotzdem ist dieser Abschnitt etwas überladen, denn in die Tiefe gehen die wiederkehrenden Anprangerungen der Gewinnsucht leider kaum.

In der zweiten Hälfte verfolgt Ordine sein Vorhaben viel zielgerichteter. Den Niedergang der Geisteskultur an Schulen, Hochschulen, in Bibliotheken und am Buchmarkt stellt er eindrücklich und anhand verständlicher Beispiele dar. Für Ordine ist es offensichtlich, dass Kultur und Wissenschaft Herz und Seele der menschlichen Gesellschaft darstellen. Von der Politik erwartet er, dass sie eine „gute“ Gesellschaft mit Herz und Seele anstrebt und nicht nur das Bruttonationaleinkommen im Blick hat. Leider zählen heute kurzfristige Wahlerfolge und der gute Draht zur Lobby mehr. Das Bewusstsein das Richtige zu wollen und zu tun wird kaum honoriert. Es trotzdem zu tun, verlangt sehr viel von den Politikern. Dies im Blick, hätte Ordine hier gerne noch energischer und konkreter argumentieren können.

Würde, Liebe und Leidenschaft für das eigene Fach untersucht Ordine im letzten Kapitel und erkennt eine Gemeinsamkeit: die nötige Freigiebigkeit, die zu echtem Gelingen führen kann. Wer für Solidarität Gegenleistungen fordert, wie das im Rahmen der Griechenlandkrise jüngst häufiger in den Zeitungen zu lesen war, ist eben nicht solidarisch, sondern ein Kaufmann. Wer Würde an Bedingungen knüpft, verhält sich selbst unwürdig. Wer einen Partner besitzen und sich seiner Liebe schriftlich versichern will, wird letztlich allein enden und wer seine geistigen Fähigkeiten nur aktiviert, wenn bare Münze klingt oder der wissenschaftliche Ruhm absehbar ist, dessen Denkfähigkeit wird rosten. Er ist nicht mehr Denker oder Wissenschaftler, er ist bloßer Dienstleister, der auf Zuruf abzuliefern hat.

Ein Essay von Abraham Flexner schließt den Band ab und liefert ein anschauliches Beispiel aus der Forschung: Das Institute for Advanced Study wurde 1930 in Princeton gegründet und von 1930-1939 von Flexner geleitet. Es hatte sich zur Aufgabe gemacht, den klügsten Köpfen der Welt, Raum und Mittel zur Verfügung zu stellen und die Bürokratie auf ein Minimum zu reduzieren. Ohne Vorgaben und Bedingungen leisteten die Größen aus Mathematik, Politologie, zahlreichen Natur- und Geisteswissenschaften hier Großes. Weshalb? Weil es unter diesen Bedingungen möglich war!

Nuccio Ordine kämpft für nicht weniger als die Rettung der Kultur vor dem Kommerz und dafür gebührt ihm Lob. Er versammelt eine große Schar klassischer Autoren hinter sich. Seine interessanten und wichtigen Gedanken illustriert Ordine durch geschickt ausgewählte Zitate. Wer am Kommerz zweifelt und Literatur schätzt, findet zahlreiche Anregungen, seine Lektüre zu vertiefen. Um allein die Welt zu retten, fehlt dem lesenswerten Büchlein aber leider ein wenig Energie.

(Tobias Schudok)

Bibliographie

Nuccio Ordine
Von der Nützlichkeit des Unnützen – Warum Philosophie und Literatur lebenswichtig sind

aus dem Italienischen von Martina Kempter
Graf Verlag

Klappenbroschur, 272 Seiten
12 € [D]/12,40€ [A]/sFr 16,90
ISBN 978-3862200535

 

Der Autor:

Nuccio Ordine ist Professor für italienische Literatur an der Universität von Kalabrien und gilt als einer der führenden Kenner von Giordano Bruno. Er ist der Herausgeber einer Klassik-Reihe im französischen Verlag Les belles lettres.