Die Arche Noah mit Spaß und Verstand

mueckenstiche_CoverVerbrechen, Mystik, Katastrophen, Dramatik, Rettung und die brutale Vernichtung des Verwerflichen – das ist der Stoff, für den sich bereits die alten Babylonier begeistert haben. Schon in den ersten Epen, dem Atrahasis-Epos vor knapp 4.000 Jahren und im späteren Gilgamesch-Epos steht die Geschichte von Noah und der Arche. In der Thora und damit im Alten Testament gehört sie zu den bekanntesten Erzählungen und im Koran erscheint der Prophet Nuh (Noah) nicht nur an vielen Stellen. Ihm ist auch eine Sure gewidmet. So fasziniert die Arche Noah seit Jahrtausenden länder- und religionsübergreifend Generation für Generation aufs Neue.

Kirsten Boie ist es gelungen, die Arche Noah vom Bedrohlichen und von der Schwere zu befreien. Im Stil einer modernen Märchenerzählerin hat sie den alten Stoff neu verfasst. Der Patriarch Noah verwandelt sich in einen Familienvater, der es mit seinen Kindern, allen voran mit dem aufsässigen und eigenwilligen Japheth, nicht leicht hat. Dabei haben alle Glück, dass Gott nicht als der strafende und wütende Schöpfer des Universums erscheint, sondern als verständiger und selbstreflektierter Weiser.

Und doch hält sich Boie an die biblische Vorlage. Gott beschließt, die sündige Menschheit mit einer Sintflut zu vernichten, entdeckt den rechtschaffenen Noah, der mit seiner Familie die Arche baut, je ein Pärchen von den Landtieren einlädt, die Flut überdauert und so mit Gottes Hilfe Tiere und Menschen rettet. So weit, so gut. Daraus schafft Boie eine witzige und charmante Geschichte in einem warmen, humorvollen, meist auch flapsigen, entspannten Stil.

Wer sich schon immer gefragt hat, wie es denn sein konnte, dass alle Tiere in derselben Gegend gelebt haben sollen, findet hier endlich Verständnis: „Aber trotzdem muss es wohl so gewesen sein, weil sich nämlich über die Geschichte, die ich erzählen will, alle einig sind …“, steht hier eingangs zu lesen. Auch vom großen Gedränge auf der Arche ist die Rede und dass es wohl überrascht, dass kein Tier versuchte, ein anderes zu fressen. Auf diese verständnisvolle Weise rückt Boie die Geschichte an die Erfahrungswelt ihrer jungen Zielgruppe heran. Die üblen Verhaltensweisen der damals so bösen Leute erscheinen in ihrer Version eigentlich gar nicht fern. Die Menschen gehen ständig aufeinander los, klauen, reden schlecht über ihre Nachbarn und lassen sich noch viel Schlimmeres einfallen. Wenn Gott sie darauf anspricht, hören sie einfach nicht zu, sondern machen einfach so weiter.

Boies Arche Noah bezieht die Vorstellungswelt und Alltagserfahrungen von Kindern mit ein. Sie nimmt ihre Sprache auf und ihren oftmals feinen Humor. Sie überrascht und erklärt mit einem Augenzwinkern ganz nebenbei, warum wir im Sommer Mückenstiche kriegen, die Schnecken unseren Salat fressen und es den Regenbogen gibt. Sie erzählt aber auch über Menschliches und Konflikte. Damit erhält das Buch seine große Aktualität. So lädt Boie ihr junges Publikum dazu ein, über die Natur, die Menschen und die Welt auf entwicklungsgerechte Weise nachzudenken und zu philosophieren.

Dass daraus ein wunderschönes Bilderbuch entstanden ist, verdanken wir auch Regina Kehn. Ihre Illustrationen harmonieren perfekt mit der fröhlichen und schwungvollen Geschichte. Kräftige Farben, lustige Tier- und Menschencharaktere sowie ein Fülle liebevoller Details erzählen mit und nochmal eine eigene Geschichte. Es gilt so viel zu Entdecken und zu Schauen.

Boie und Kehn haben gemeinsam ein Bilderbuch geschaffen, das ein echtes Fest und ein Spaß für die Sinne und den Verstand sind und schon deshalb in jeder Kinderbibliothek einen festen Platz haben sollten.

Gernot Körner

Bibliographiemueckenstiche_Cover

Warum wir im Sommer Mückenstiche kriegen, die Schnecken unseren Salat fressen und es den Regenbogen gibt
Eine Geschichte von Noah und der Arche

Kirsten Boie/Regina Kehn
Jumbo

Bilderbuch, Hardcover, 38 Seiten
ISBN 978-3-8337-3381-9

Über die Autorin

Kirsten Boie, geboren 1950 in Hamburg, ist eine der renommiertesten deutschen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Nach ihrem Studium promovierte sie in Literaturwissenschaft und arbeitete anschließend als Lehrerin. Nach der Adoption des ersten Kindes musste sie auf Verlangen des vermittelnden Jugendamtes die Lehrerinnentätigkeit aufgeben und begann zu schreiben. 1985 erschien Kirsten Boies erstes Buch, „Paule ist ein Glücksgriff“, das mehrfach ausgezeichnet wurde. Für ihr Gesamtwerk erhielt Kirsten Boie im Jahr 2007 den Sonderpreis des Deutschen Jugendliteraturpreises und im Jahr 2008 den Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur. 2011 wurde sie mit dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis ausgezeichnet. Inzwischen sind von Kirsten Boie rund 100 Bücher erschienen und in zahlreiche Sprachen übersetzt worden. Für ihr ehrenamtliches Engagement wurde ihr 2011 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen. Kirsten Boie hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit ihrem Mann bei Hamburg.

Über die Illustratorin

Regina Kehn, geboren 1962 in Hamburg, studierte Illustration an der Fachhochschule für Gestaltung in Hamburg. Seit 1990 arbeitet sie freiberuflich als Kinder- und Jugendbuchillustratorin. Für den JUMBO Verlag hat Regina Kehn zusammen mit Kirsten Boie bereits mehrere Titel realisiert. Unverwechselbar sind dabei ihre ausdrucksstarken Illustrationen, die immer auch eine ganz eigene Geschichte erzählen. 1996 erhielt Regina Kehn die Bronzemedaille in der Sparte Illustration vom Art Directors Club. Sie lebt mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in Hamburg.